Sachverhalt: Der öffentliche Auftraggeber schreibt europaweit die Lieferung von CO2-Ampeln für Schulen in Sachsen aus. Gefordert ist der Nachweis von 3 vergleichbaren Referenzprojekte aus den letzten 3 Kalenderjahren. Im Rahmen einer Bieterfrage konkretisiert die Vergabestelle, dass für jedes einzelne Referenzprojekt die Liefermenge von mindestens 2000 zum Dauerbetrieb bestimmter Messgeräte nicht unterschritten werden dürfe. Bieterin B gibt ein Angebot ab und benennt 3 Referenzprojekte, ohne jedoch die konkrete Liefermenge mitzuteilen. Daraufhin fordert der Auftraggeber die Bieterin auf, ihre Angaben in Bezug auf die Liefermengen zu vervollständigen. B führt für die angegebenen Referenzen die jeweiligen Liefermengen an. Zudem fügt sie 3 weitere Referenzprojekte mit einer jeweiligen Liefermenge von über 2000 CO2-Ampeln bei. Der Auftraggeber schließt das Angebot aus, da keine der im Angebot benannten Referenzen die geforderte Stückzahl erreiche. Die neu aufgeführten Referenzen wurden nicht berücksichtigt. B rügt den Ausschluss des Angebots. Bereits die im Angebot genannten Referenzen seien technisch vergleichbar, auch wenn die Mindestliefermenge nicht erreicht worden sei. Mit weiteren Referenzen habe B zudem die Anforderung von 2000 Geräten pro Referenzauftrag nachgewiesen. B rügt außerdem, dass ihr Unternehmen präqualifiziert sei, der Auftraggeber jedoch von der gesetzmäßig gegebenen Möglichkeit, die Eignung mit einer Präqualifizierung nachzuweisen, keinen Gebrauch gemacht habe. Bei Einreichung der PQ-Urkunde hätte ein Ausschluss des Angebotes keine Grundlage gehabt. B stellt einen Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer. Beschluss: Ohne Erfolg. Es liegt im Ermessen des Auftraggebers, hinsichtlich der zu vergebenden Leistung Leistungsinhalt und -umfang zu definieren und zu konkretisieren, also auch Mindestanforderungen festzulegen, wie es sich aus Art. 58 Abs. 5 RL 2014/24/EU ergibt. Bieter, die diese Mindestanforderungen nicht erfüllen, sind zwingend wegen fehlender Eignung auszuschließen. B hat in ihrem Angebot an keiner Stelle auf die Präqualifizierung hingewiesen oder die PQ-Urkunde dem Angebot beigefügt. Hinsichtlich der Liefermenge erfüllt keine der dem Angebot beigefügten Referenzen die vom Auftraggeber festgelegten Mindestanforderungen von 2000 Geräten. Die Möglichkeit zur Nachforderung (vgl. § 56 Abs. 2 VgV) gilt nur für fehlende Erklärungen und Nachweise. Nicht jedoch, wenn diese, wie in diesem Fall, in inhaltlicher Hinsicht nicht zu den Mindestvorgaben passen. Jede Vorlage weiterer passender Referenzen wäre eine Nachbesserung des Angebots. Eine Nachbesserung widerspricht den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung aller Bieter, daher ist das Angebot auszuschließen. Im Wesentlichen gilt dies auch für den nachträglich vorgebrachten Hinweis auf die Präqualifizierung. Im Rahmen der Prüfung des Angebots besteht für die Vergabestelle keine Verpflichtung und mangels Kenntnis auch keine Veranlassung, sich mit der Präqualifizierung von B auseinanderzusetzen. Die Vergabekammer kommt zu dem Urteil, dass weder die nachträglich vorgelegten Referenzen noch die nachträglich geltend gemachte Präqualifizierung im Rahmen der Eignungsprüfung zu berücksichtigen waren. In beiden Fällen wäre dies eine unzulässige nachträgliche inhaltliche Änderung des Angebots. Die Prüfung der beruf-lichen und technischen Leistungsfähigkeit muss zwingend auf Grundlage der im Angebot abgegebenen Referenzen erfolgen. Da diese die geforderte Mindestliefermenge nicht erreichten, waren sie nicht vergleichbar und das Angebot somit auszuschließen. Praxistipp: Präqualifizierte Unternehmen sollten dem Auftraggeber mit Angebotsabgabe die PQ-Urkunde bzw. die Zugangsdaten für die PQ-Datenbank mitteilen, auch wenn dies nicht explizit in der Bekanntmachung steht. Denn grundsätzlich müssen öffentliche Auftraggeber eine Präqualifizierung als Nachweis der Eignung akzeptieren. Versäumt es der Bieter jedoch, den Auftraggeber mit Angebotsabgabe über seine Präqualifizierung zu informieren, so sind die präqualifizierten Nachweise für die Prüfung irrelevant. Auftraggeber sind an die Anforderungen in der Bekanntmachung gebunden und dürfen nach Angebotsöffnung keine unaufgefordert eingereichten Nachweise mehr berücksichtigen. Bieter sollten daher konkrete Eignungsanforderungen in der Bekanntmachung immer sorgfältig prüfen. Wenn, wie in diesem Fall, konkrete inhaltliche Anforderungen an die Eignungsnachweise gestellt werden, sollten auch präqualifizierte Bieter die in der PQ-Datenbank hinterlegten Nachweise mit den Anforderungen des Auftraggebers abgleichen und ggf. dem Angebot ergänzende Nachweise hinzufügen. VK Sachsen, Beschluss vom 25.04.2023 (Az.: 1/SVK/010-23)
Sachverhalt: Der öffentliche Auftraggeber schreibt europaweit Straßenbauarbeiten zur grundhaften Erneuerung eines stark frequentierten, vierspurig befahrenen Streckenabschnitts von 7,8 km Länge aus. Er sieht von einer Fachlosbildung für die Arbeiten Verkehrssicherung, Markierung und passive Schutzeinrichtung ab. Bieter B, ein Anbieter von Weißmarkierungsarbeiten, greift die fehlende Losbildung vor der zuständigen Vergabekammer an.
Beschluss: Im Ergebnis ohne Erfolg. Unstreitig existiert für Weißmarkierungsarbeiten ein eigener Anbietermarkt, sodass diese Leistung grundsätzlich als Fachlos auszuschreiben ist. Vorliegend unterliegt der auftragsgegenständliche Streckenabschnitt aber einem besonderen Beschleunigungsansatz des Auftraggebers. Dies ist auch entsprechend begründet worden: Eine Gesamtvergabe ist nötig, um eine erhöhte Unfallgefahr im Baustellenbereich, volkswirtschaftliche Nachteile infolge von Zeitverlust durch Stau, staubedingte Emissionen und durch erforderliche Umleitungen auf ein Minimum zu reduzieren. Diese Aspekte sind regelmäßig im Straßenbau relevant und können nicht allgemeingültig zur Begründung einer Gesamtvergabe dienen. Vorliegend setzt der Auftraggeber diese Aspekte aber in Bezug zu einem konkreten Streckenabschnitt, welcher besonders priorisiert wird. Eine Betrachtung des gegenständlichen Vergabeverfahrens im Kontext aller Vergabeverfahren bestätigt, dass der Auftraggeber eine Gesamtvergabe der Leistungen tatsächlich nur in Ausnahmefällen mit entsprechender Begründung anstrebt. Das gewählte Vergabedesign des AG ist ebenfalls geeignet und verhältnismäßig, sodass die Gesamtvergabe mit der vorliegenden Begründung nicht zu beanstanden ist. Praxistipp: Die Rechtfertigung einer gemeinsamen Vergabe von (Fach-)Losen bleibt aber eine Einzelfallentscheidung, der immer auch eine gewisse Rechtsunsicherheit immanent ist. Insbesondere wenn eindeutig ein eigener Anbietermarkt für Einzelleistungen existiert, besteht immer auch das Risiko, dass dieser die fehlende Losteilung angreift, um seine Marktposition bei öffentlichen Aufträgen zu sichern. Der streitgegenständliche Fall zeigt, dass die Begründung der gemeinsamen Vergabe von Losen aus einer Gesamtschau verschiedener Faktoren erwachsen kann. Die Begründung muss allerdings über die Eigeninteressen des AG hinausgehen. In jedem Fall ist die Entscheidung sorgfältig zu argumentieren und zu dokumentieren. VK Bund, Beschluss vom 26.02.2024 (Az.: VK 2-13/24)
Sachverhalt: Ausgeschrieben waren unterhalb des EU-Schwellenwertes Gewerke im Rahmen eines Baus eines Regenüberlaufbeckens. Bieter B unterbreitet das günstigste Angebot. Es liegt rund 2 % unter dem Angebot des Zweitplatzierten und rund 8 % unter dem Angebot des Drittplatzierten. Bei der Angebotswertung fällt dem öffentlichen Auftraggeber auf, dass bestimmte Einheitspreise des Angebots von B im Vergleich zu den Mitbewerbern sehr günstig sind. Im Rahmen einer Aufklärung erklärt B, er habe infolge der Kalkulation mit vorgefertigten Kalkulationsbausteinen versehentlich einen Kilopreis anstatt eines Tonnenpreises angeboten. B erklärt zudem, dass er zu den abgegebenen Preisen stehe, weil das Angebot in seiner Gesamtheit auskömmlich sei. Die Vergabestelle schließt das Angebot wegen fehlender Preisangabe aus. B begehrt daraufhin Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns.
Beschluss: Mit Erfolg. Das Angebot durfte nicht wegen fehlender Preisangabe ausgeschlossen werden. Alle geforderten Preisangaben waren vorhanden. Der Umstand, dass das Angebot wegen Irrtums ggf. anfechtbar war, führt nicht zu einer fehlenden Bestimmtheit der Einzelpreise. Eine Unklarheit liegt allenfalls hinsichtlich der Frage vor, ob der Bieter von einem etwaigen Anfechtungsrecht Gebrauch macht, nicht hingegen bezüglich der Höhe der Einheitspreise. Die Preisangaben sind auch nicht deswegen unklar oder unbestimmt, weil sie auslegungsbedürftig waren.
Praxistipp: Ohne Hinzutreten vorgenannter oder vergleichbarer besonderer Umstände stellen Fehler in der Angebotskalkulation grundsätzlich keinen zwingenden Ausschlussgrund dar. Bieter sind insoweit an ihre Angebote gebunden und können darauf festgelegt werden. Auftraggeber sind weder verpflichtet noch berechtigt, bei einem Kalkulationsirrtum von der Annahme des Angebots abzusehen. Eine Verpflichtung aus Sorgfalt dazu entsteht erst, wenn der irrig kalkulierte Preis billigerweise nicht mehr als auch nur im Ansatz äquivalentes Entgelt für die Leistung aufgefasst werden kann. OLG Stuttgart, Urteil vom 16.05.2024 (Az.: 2 U 146/22)
Sachverhalt: In einem EU-weiten Verfahren, werden von den Bietern in den Vergabeunterlagen für dieselbe Leistungsposition an verschiedenen Stellen unterschiedliche Preis- und Teilkostenangaben gefordert. Im Leistungsverzeichnis ist der angebotene Einheitspreis (EP) anzugeben. Dieser ist in einem zweiten Formblatt ("Aufgliederung der EP") in die Teilkosten Lohn, Stoffe usw. aufzuschlüsseln. In einem dritten Formblatt ("Stoffpreisgleitklausel") ist für bestimmte Positionen der im EP enthaltene Kostenanteil für bestimmte Stoffe anzugeben. Als Abrechnungseinheit vorgegeben ist jeweils Euro pro Quadratmeter ("Euro/qm").
Bieter B trägt alle Preise und Teilkosten ein, ändert jedoch in einem der beiden Formblätter mit seiner Preisangabe die voreingetragene, nicht schreibgeschützte Einheit in "Euro/m" ab. Der Auftraggeber stuft dies als unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen ein und schließt das Angebot aus. B rügt daraufhin mit der Begründung, sein Schreibfehler dürfe nicht zum Ausschluss führen und wendet sich an die zuständige Vergabekammer.
Beschluss: Mit Erfolg. Die Änderung der Mengeneinheit im Zusammenhang der Eintragungsmodalitäten betrachtet, stellt keine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen dar. Eine unzulässige Änderung liegt vor, wenn eine andere Leistung angeboten wird als die Ausgeschriebene. In diesem Fall weicht das Angebot inhaltlich von den Vergabeunterlagen ab.
Der Abgleich erfordert zunächst eine Auslegung sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont. Dabei ist der Wortlaut der Erklärung ein zentraler, aber nicht der einzige zu würdigender Gesichtspunkt. Zu berücksichtigen sind auch begleitende, dem Empfänger bei Zugang der Erklärung erkennbare Umstände.
Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich vorliegend, dass B ein Eintragungsfehler unterlaufen ist, der keine Änderung des Inhalts bezweckte. Für einen Schreibfehler spricht, dass das zeitgleich von B eingereichte Formblatt "Aufgliederung der Einheitspreise" in der derselben Position keine Abänderung der Mengeneinheit aufweist. Der Auftraggeber musste daher im Rahmen der Auslegung des Angebots davon ausgehen, dass die Bieteranga-be "Euro/m" statt "Euro/qm" auf einem Schreibfehler beruht, so dass es bereits an einer inhaltlichen Änderung der Vergabeunterlagen fehlt.
Praxistipp: Die Entscheidung der VK Thüringen bestätigt die bisherige Rechtsprechung zu diesem Thema: Ein Angebotsausschluss ist die letzte zu treffende Maßnahme. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss in einem ersten Schritt geklärt werden, ob die Vergabeunterlagen gegebenenfalls nach Auslegung, doch eindeutig zu verstehen sind.
VK Thüringen, Beschluss vom 10.05.2023, AZ.: 4002-812-2023-E-003-SM
Sachverhalt: Ausgeschrieben waren IT-Beratungs- und Unterstützungsleistungen in einem EU-weiten Verfahren. Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit werden auch mindestens drei vergleichbare Referenzen gefordert. Zudem wird verlangt, dass es sich bei mindestens einer der Referenzen um einen Auftrag für einen öffentlichen Auftraggeber i. S. d. §§ 98,99 GWB handelt. B soll den Zuschlag erhalten. Dagegen wendet sich Bieter A. A rügt u. a., B erfülle nicht die geforderte Eignung im Hinblick auf die einzureichenden Referenzen. Die Vergabestelle hilft der Rüge nicht ab. Daraufhin leitet A ein Nachprüfungsverfahren ein.
Beschluss: Mit Erfolg. Der Auftraggeber habe nachweislich der Vergabedokumentation keine ausreichende Prüfung der Eignung vorgenommen. Hinsichtlich der Überprüfung der Referenzen des B sei in der Vergabeakte lediglich festgehalten: "Mindestens drei Referenzen, die die Mindestanforderungen erfüllen: Ja.". Nicht eindeutig sei, ob einer der Referenzaufträge, wie gefordert, von einem öffentlichen Auftraggeber erteilt worden sei.
Ob ein Auftraggeber die Eigenschaft eines Auftraggebers i. S. d. § 99 GWB erfüllt, setze eine juristische Bewertung voraus. Eine solche Bewertung habe der Auftraggeber nicht vorgenommen. Dies insbesondere deshalb, da B keine Referenz benannt habe, die auf den ersten Blick und zweifelsfrei eine Referenz von einem öffentlichen Auftraggeber darstellt.
Eine Ergänzung der Dokumentation im Nachprüfungsverfahren komme hier nicht in Betracht. Voraussetzung dafür sei, dass sich die wesentlichen Überlegungen des Auftraggebers bereits in der Dokumentation befinden. Sinn der Möglichkeit, vorhandene Dokumentation durch schriftsätzlichen Vortrag zu ergänzen, sei jedoch nicht, ganz wesentliche Teile der Dokumentation bzw. weitergehend sogar der materiellen Prüfung in den schriftsätzlichen Vortrag zu verlagern. Denn wenn die Vergabedokumentation keine Aussage zu erforderlichen Prüfungsschritten enthalte, sei davon auszugehen, dass diese im Sinne einer "negativen Beweiskraft" des Vergabevermerks auch tatsächlich nicht durchgeführt worden sei.
Praxistipp: Zum wiederholten Male eine Entscheidung, die deutlich macht, wie wichtig eine ausführliche Dokumentation des Auftraggebers ist. Dies insbesondere, wenn von allgemeinen Anforderungen an die Eignung abgewichen wird. Für die Bieterseite wird erkenntlich, wie nützlich eine Präqualifikation ist, wenn dadurch die Fehleranfälligkeit vermieden werden kann und bei einer Präqualifikation in einem amtlichen Verzeichnis für den Auftraggeber eine Eignungsvermutung entsteht.
VK Bund, Beschluss vom 02.02.2024, Az.: VK 2-98/23
Sachverhalt: Im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb wurde die Entwicklung von Software ausgeschrieben. Während des Teilnahmewettbewerbs wurde festgestellt, dass mehrere Bieter denselben Nachunternehmer N angegeben haben. Der öAG bat die betreffenden Bewerber um Darlegung, wie sie und N die Einhaltung der Grundsätze des Geheimwettbewerbs sicherstellten.
Bewerber B teilte mit, dass mit N eine Geheimhaltungsvereinbarung darüber geschlossen worden sei, alle vertraulichen Informationen geheim zu halten sowie organisatorische und technische Vorkehrungen zu treffen, die eine Gefährdung des Geheimwettbewerbs wirksam ausschließen. Alle übrigen Bewerber schlossen ebenfalls Geheimhaltungsvereinbarungen mit N.
In der darauffolgenden Angebotsphase bat der öAG die Bieter wiederum um Stellungnahme, da schwerwiegende Anhaltspunkte vorlägen, dass die zugesicherten Maßnahmen zur Sicherstellung des Geheimwettbewerbs nicht vollumfänglich beachtet werden, und kündigte an, dass N eine schwere Verfehlung i.S.d. § 124 Abs. 1 GWB begangen haben könnte, die einen Austausch des N oder einen Ausschluss des Bieters zur Folge haben könne. B legte dar, warum kein Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vorliege, und fügte eine entsprechende Stellungnahme des N bei. Die übrigen Bieter taten es gleich.
Der öAG forderte B unter Fristsetzung auf, N als Eignungsverleiher und Nachunternehmer zu ersetzen. B kam dem nicht nach und wurde daraufhin vom Verfahren ausgeschlossen. Hiergegen wendet sich B vor der zuständigen Vergabekammer.
Beschluss: Mit Erfolg. Der Ausschluss ist rechtwidrig. N, der auch für weitere Bieter als Nachunternehmer auftritt, erfüllt nicht den Ausschlussgrund gem. § 124 Abs. 1 GWB. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die betreffenden Bieter ihre Angebotsinhalte untereinander abgestimmt hätten, wie es Voraussetzung wäre.
Ein wettbewerbswidriges Verhalten durch N wird von dem öAG nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Die Bieter müssen zwar das Nachunternehmerangebot des N berücksichtigen, inwieweit sie dies tun, bleibt jedoch den jeweiligen Bietern überlassen. Darüber hinaus werden die weiteren Angebotsbestandteile von den Bietern ohne N erbracht und kalkuliert.
Die Bieter sind und bleiben eigenständige und von N unabhängige Unternehmen. Da N sich nicht selbst mit einem Angebot beteiligt hat, bleibt die mehrfache Nachunternehmerbeteiligung des N unbedenklich.
Praxistipp: Sicherlich in der Praxis eine Konstellation, die nicht allzu häufig auftritt. Entscheidend ist, dass formal alle möglichen Schutzmaßnahmen getroffen worden sind. Ohne dass es konkrete Hinweise auf wettbewerbswidriges Verhalten gibt, darf und muss ein öAG darauf vertrauen, dass Verschwiegenheitsvereinbarungen auch eingehalten werden. Hinzu kommt, dass ein Nachunternehmer im Normalfall auch faktisch keinen Einblick in das Angebot erhält, welches der Bieter abgibt.
VK Bund, Beschluss vom 10.11.2023, Az.: VK 1-63/23
Sachverhalt: Im Rahmen einer institutionellen Förderung des Jagdhaushaltes für das Jahr 2018 durch das Land Hessen (L) wurden Kläger K Zuwendungen gewährt. K erhielt bereits in der Vergangenheit, so auch im vorangegangenen Jahr 2017, diese Förderung.
Zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte K, keine institutionelle Förderung für das Jahr 2018 zu beanspruchen. Im November 2018 beantragte K dann doch die Gewährung einer Förderung für das Jahr 2018. Mit der Bewilligung der Zuwendung durch L wurden die "Allgemeinen Nebenbestimmungen für die Zuwendung zur institutionellen Förderung" (ANBest-I), Bestandteil des betreffenden Bescheids.
L widerrief im Jahr 2022, mit der Begründung, dass die Beauftragung an das Unternehmen vergaberechtwidrig erfolgt sei, den Förderbescheid teilweise und forderte einen Teil der Zuwendung zurück. Hiergegen klagte K.
Beschluss: Ohne Erfolg. Der Teilwiderrufs- und Rückforderungsbescheid war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HVwVfG lagen vor. K hat gegen die Auflage aus Ziff. 3.1 der ANBest-I verstoßen, bestimmte Regelungen des Hessisches Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG) zu beachten. Danach war vor einer freihändigen Vergabe, wie sie K zur Beauftragung des Unternehmens durchgeführt hat, ein Interessenbekundungsverfahren durchzuführen. Diese Vorgehensweise wurde nicht eingehalten.
Die Auflage aus den ANBest-I war für das gesamte Jahr 2018 rechtlich bindend. Zwar konnte die Auflage gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG erst ab Bekanntgabe des Bescheids am 19.12.2018 wirksam werden. In einer Gesamtschau mit dem Regelungsgehalt des Bescheids war aber davon auszugehen, dass die Auflage ihrem Inhalt nach rückwirkend mit Beginn des Jahres 2018 in Kraft treten sollte. Die Landeszuwendung zur institutionellen Förderung wurde für das gesamte Haushaltsjahr 2018 gewährt und ist notwendigerweise rückwirkend erfolgt.
Die Wahl einer unzulässigen Vergabeart stellte einen schweren Verstoß gegen das Vergaberecht dar. Wie sich dieser Verstoß auf die Höhe der Rückforderung auswirkt, ist Bestandteil der behördlichen Ermessensentscheidung auf Rechtsfolgenseite.
Praxistipp: Vorsicht, wenn bei bereits erteilten Aufträgen und späterer Entscheidung für diese Leistung Zuwendungen beantragt werden. Der Zuwendungsempfänger muss prüfen, ob die Mittel auflagen- und vergaberechtskonform verwandt wurden. Gegebenenfalls entfällt eine Förderfähigkeit.
VG Gießen, Beschluss vom 11.12.2023, Az.: 4 K 1641/22
Sachverhalt: Ausgeschrieben waren Lieferung und Einrichtung von Multifunktionsprintern in einem EU-weiten Verfahren. Neben dem Preis legt der öAG verschiedene Qualitätsmerkmale der angebotenen Leistung als Zuschlagskriterien fest und versieht diese mit Punkten. Als Bewertungsmethode wird in den Vergabeunterlagen die "einfache Richtwertmethode" festgelegt. Nicht angegeben ist dagegen, mit welchem Gewicht die Kosten und mit welchem Gewicht die Summe der Qualitätspunkte in die Bewertung der Angebote einfließt.
Bieter A ist Bestbieter. Der unterlegene Bieter B rügt mit der Begründung, die Gewichtung von Kosten und Qualität sei unklar geblieben.
Beschluss: Der von B gestellte Nachprüfungsantrag bleibt ohne Erfolg: Zunächst stellt die Vergabekammer heraus, dass die einfache Richtwertmethode eine allgemein anerkannte Methode ist, um Kosten und die Summe der Qualitätspunkte zueinander ins Verhältnis zu setzen. Diese Methode führt mathematisch zwangsläufig dazu, dass die Kosten mit 50 % und die Summe der Qualitätspunkte mit 50 % gewichtet werden.
Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Gewichtung der Zuschlagskriterien in der Bekanntmachung als auch in den Vergabeunterlagen anzugeben. Dies ist vorliegend unterblieben. Die Festlegung auf die einfache Richtwertmethode lässt aber den zwingenden Schluss zu, dass Kosten und Qualität mit je 50 % gewichtet werden.
Praxistipp: Die Richtwertmethode ist eine in der Praxis sehr anerkannte Bewertungsmethode. Wenn aber eine andere Gewichtung als 50 % - 50 % vorgesehen ist, kann sie nicht angewendet werden. Wenn Bieter sich unsicher sind, wie die Wertung der Angebote stattfinden soll: Fragen Sie im Rahmen der Bieterkommunikation.
VK Lüneburg, Beschluss vom 05.09.2023, Az.: VgK-20/2023
Sachverhalt: Der AG vergab die Entwurfs- und Genehmigungsplanung LP 3 und 4 von vier nahezu gleichen Gebäuden, bei denen sich die Projektkosten für ein Gebäude auf rund 4,4 Mio. Euro netto beliefen. Es erfolgte danach eine nationale Ausschreibung der Bauleistungen für das erste Gebäude. Alle Planungsunterlagen für vier Gebäude mit Unterkünften für insgesamt 600 Personen sollten innerhalb von 1 Jahr an den AG an verschiedenen Standorten fertiggestellt werden.
Der unterlegene Bieter rügt u. a., dass die Bauleistung europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen, da der EU-Schwellenwert bei dem Planungsumfang überschritten sei. Der AG vertritt die Auffassung, dass eine Gesamtbetrachtung aller vier Gebäude nicht in Betracht komme, da von Anfang an bei der wirtschaftlichen und zeitlichen Planung der Ansatz verfolgt wurde, das Vorhaben bei jedem weiteren Gebäude zunächst planerisch weiterzuentwickeln und zu verbessern. Für alle weiteren Gebäude sei eine EU-weite Ausschreibung bei jeweiliger Überschreitung der Schwellenwerte vorgesehen.
Der ASt wendet ein, dass der Schwellwert bereits überschritten sei, weil die Errichtung der vier Gebäude als funktionale Einheit zu betrachten seien. Dafür spreche, dass sie als Gesamtprojekt geplant wurden und die Realisierung im zeitlichen Zusammenhang stattfinde. Unerheblich sei, dass die Realisierung zeitlich versetzt erfolge und unterschiedliche Haushaltsjahre beträfe. Bereits die erste Baumaßnahme überschreite den Schwellenwert, da die Kostenschätzung aus 2020 veraltet sei.
Der AG beharrt darauf, dass kein funktionaler Zusammenhang zwischen den Gebäuden bestehe, weil jedes Gebäude für sich eine sinnvolle Funktion erfüllen würde. Auch sei ein technisch und wirtschaftlich getrennter Betrieb möglich. In der Haushaltsplanung sei auch zunächst nur das streitgegenständliche Gebäude aufgenommen worden.
Der Gesamtbeschaffungsbedarf hätte zwar vier Gebäude umfasst, aber der Auftraggeber habe das Dispositionsrecht, ob und wann er seinen Bedarf deckt. Es handele sich daher nicht um eine Gesamtbaumaßnahme, nur weil die bisherigen Planungsleistungen für alle Gebäude vergeben wurden. Es sei üblich, um die Grundlage für die Haushaltsunterlage Bau zu schaffen. Die Realisierung weiterer Gebäude sei völlig offen.
Der Auftragswert der Bauleistung für das erste Gebäude sei aktualisiert worden und habe im Zeitpunkt der Bekanntmachung der Ausschreibung 4,8 Mio. Euro betragen. Der Vortrag wurde durch die Beigeladene dahingehend ergänzt, dass das Gebäude über eigene Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen verfüge und für sich genommen abgeschlossen und unabhängig von anderen Gebäuden nutzbar sei. Ein einheitlicher Auftrag sei nur dann anzunehmen, wenn der eine Teil ohne den anderen keine sinnvolle Funktion zu erfüllen vermöge. Die einheitliche Zweckbestimmung sei kein relevantes Kriterium für die Prüfung eines wirtschaftlichen und technischen Funktionszusammenhanges. Gleiches gelte für die vorgelagerte Definition eines Beschaffungsbedarfes durch den Auftraggeber.
Beschluss: Der Schwellenwert für die zu vergebende Bauleistung ist überschritten, ohne dass es auf die Überschreitung des hier betroffenen Einzelgebäudes ankommt. Entscheidend ist, dass für die Zwecke der Auftragswertschätzung in der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwellenwert aller Gebäude in jedem Fall überschritten ist. Dies ergibt sich aus § 106 Abs. 1 GWB, § 3 VgV i.V.m. § 1 EU Abs. 2 S. 2 VOB/A.
Für die Beurteilung, ob die Arbeiten an verschiedenen Bauaufträgen untereinander auf eine solche Weise verbunden sind, dass sie letztlich als Arbeiten an einem einheitlichen Bauwerk anzusehen sind, ist auf eine funktionale Betrachtung abzustellen und darauf, ob die verschiedenen Baumaßnahmen dieselbe wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen (EuGH, Urteil vom 15. März 2012 – C574/10, juris-Rn. 37). Der AG hat ursprünglich seinen für die Auftragswertschätzung maßgeblichen Bedarf hinsichtlich aller vier Gebäude festgestellt und diesen auch nicht zwischenzeitlich reduziert. Dieser Beschaffungsbedarf ist im Ausgangspunkt heranzuziehen, denn er bildet die Grundlage des nachfolgenden Vergabeverfahrens und ist damit auch für die Schätzung der daraus entstehenden Kosten / des Auftragswertes maßgeblich.
Aus der Bekanntmachung über den vergebenen Planungsauftrag ergibt sich ausdrücklich, dass alle vier Gebäude umgesetzt werden sollen. Damit dient die Errichtung der vier Gebäude einheitlich der Sicherstellung ausreichender Unterbringungskapazitäten für 600 Personen auf derselben Liegenschaft und weist eine funktionelle Kontinuität über alle Einzelbaumaßnahmen hinweg auf. Aus der der öffentlich einsehbaren Internetpräsenz des AG ergibt sich, dass die Neubauten nach Abriss der abgängigen Gebäude erforderlich werden, um deren Funktion in der angegebenen Dimension zu ersetzen und sicherzustellen. Diese Einheitlichkeit wird unterstrichen durch die Absicht des AG, die Erschließung und Außenanlagen nicht in die Auftragswertschätzung für das Gebäude einzubeziehen, sondern sie einer Gesamtbetrachtung vorzubehalten, um gebäudeübergreifende Aspekte berücksichtigen zu können. Dies spricht gegen eine isolierte Funktion des streitgegenständlichen Gebäudes.
Der Sache nach ähnelt das von dem AG gewählte Vorgehen hinsichtlich der vier nahezu identischen Gebäude auch der Vergabe von Mengenlosen, mit denen der Gesamtbeschaffungsbedarf von 600 Plätzen gedeckt werden soll. Diese Sichtweise verdeutlicht, dass auch das Argument, dass die vier geplanten Gebäude technisch voneinander unabhängig und auch isoliert in vollem Umfang betriebsbereit sind, nicht entscheidend sein kann. Bei Mengenlosen ist es regelmäßig so, dass die einzelnen Beschaffungsgegenstände auch für sich allein nutzbar sind. Ihre grundsätzliche Selbständigkeit ändert jedoch nichts an der gebotenen Gesamtbetrachtung der einzelnen Beschaffungsmaßnahmen. Dieses Abgrenzungskriterium der Rechtsprechung rechtfertigt nicht den Umkehrschluss, dass solche Maßnahmen, die auch isoliert eine sinnvolle Funktion erfüllen könnten, stets als eigenständiger Auftrag zu betrachten seien.
Auch das Argument des AGs, dass er seine Beschaffungsvorhaben zu den weiteren Gebäuden aufgeben könne, wenn sich kein weiterer Kapazitätsbedarf ergebe, erweist sich nicht als zutreffend, da nicht der Bedarf an Plätzen betroffen wäre, sondern die der Betreuung bei der Errichtung, die ebenso keine grundsätzliche Aufgabe des Beschaffungsbedarfs darstellt wie die noch nicht abschließend geklärte Finanzierung weiterer Gebäude. Sie stellen die Annahme eines einheitlichen Beschaffungsbedarfs nicht in Frage. Hier bietet sich die Teilung des Auftrags in Lose an, die unter dem Vorbehalt der Finanzierung ausgeschrieben werden können.
Die Unwirksamkeit des bereits erteilten Zuschlags ergibt sich gemäß § 135 Abs. 1 Nr.2 GWB aus dem Verstoß gegen die europaweite Bekanntmachungspflicht.
Fazit: Die Auftragswertschätzung sollte man nicht nach Schema-F vornehmen. Es ist nicht ratsam, nur einen vorteilhaften Einzelaspekt wie die technische Unabhängigkeit von Baukörpern als Nachweis der Trennbarkeit der Auftragswerte heranzuziehen. Das ist umso wichtiger, wenn der Auftraggeber, wie hier, zu Beginn des Projekts frühzeitig seinen Beschaffungsbedarf für vier Gebäude klar kommuniziert hatte. Alle Aspekte dafür und dagegen sind zu berücksichtigen. Die Vergabekammer hat deutlich gemacht, dass ein unstreitig kommunizierter und andauernder Beschaffungsbedarf für vier Gebäude den „funktionalen Zusammenhang“ der Bauleistungen für alle Gebäude bestätigt.
VK Bund, Beschluss vom 06.07.2023, VK 2 - 46 / 23
Sachverhalt: Ausgeschrieben waren Projektsteuerungsleistungen (Sanierung Museumsbau) in einem EU-weiten offenen Verfahren. Beauftragt werden sollte die Projektsteuerung mit Schnittstellenmanagement für das Gesamtprojekt sowie für das Teilprojekt Bau und das Teilprojekt Ausstellungen, das die Neugestaltung von fünf Einzelausstellungen umfasst
Der öffentliche Auftraggeber (öAG) forderte mindestens zwei Referenzen über Projektsteuerungsleistungen bei Bauvorhaben mit Baukosten jeweils über mindestens 100 Mio. Euro und einer Leistungserbringungszeit von mindestens fünf Jahren. Zudem musste eines dieser zwei Referenzprojekte ein Sanierungsprojekt sein. Zusätzlich war mindestens eine Referenz zu benennen, die die Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen der Sanierung bzw. eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung von Schnittstellen zum Bauprojekt und dem Aus- und Einzug der Ausstellungsprojekte zum Gegenstand hatte. Die Projektstufe 4 musste bei den Referenzprojekten innerhalb der letzten 10 Jahre abgeschlossen worden sein.
Als weiterer Mindeststandard wurde die Beschäftigung von mindestens 80 Mitarbeitern, davon mindestens 50 Architekten und Bauingenieuren, gefordert. Bieter B rügte mit der Begründung, dass die Eignungsanforderungen überzogen seien.
Beschluss: Mit Erfolg. DDie vom öAG als Mindeststandard geforderte Referenz einer "Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen des Neubaus/der Sanierung/eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung der Schnittstelle zum Bauprojekt" verstößt gegen § 122 Abs. 4 GWB. Die Anforderungen sind unverhältnismäßig und stehen nicht ausreichend in Bezug zum Leistungsgegenstand.
Grundsätzlich steht dem öAG bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu. Es dürfen jedoch nur Eignungskriterien aufgestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Eignungskriterien müssen geeignet und erforderlich sein, um die Leistungsfähigkeit in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen.
Besonders hohe Anforderungen können unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen sie erfüllen können. In einem solchen Fall ist es nötig, dass die Anforderungen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind und dies in der Dokumentation/Vergabeakte entsprechend dargelegt werden.
Vorliegend ist die Forderung nach Referenzen zu Projektsteuerungsleistungen bezüglich dreier Dauerausstellungen unter Berücksichtigung der damit notwendigerweise verbundenen Wettbewerbsbeschränkung unangemessen hoch. Die Zahl möglicher als Referenz in Betracht kommende Projekte wird dadurch deutlich eingeschränkt, dass es sich um die Neugestaltung von Dauerausstellungen handeln musste. Weshalb die Neugestaltung einer Dauerausstellung erforderlich sein soll, erschließt sich nicht.
Die hohen Referenzanforderungen sind schon an sich geeignet, den Wettbewerb erheblich einzuschränken. Dabei ist ferner in einer Gesamtschau u. a. zu berücksichtigen, dass der AG als weitere Mindestanforderung zwei Referenzen über eine Projektsteuerung bei Bauvorhaben mit Baukosten über mindestens 100 Mio. Euro brutto forderte.
Praxistipp: Der Beschluss macht deutlich, wann Eignungsanforderungen überzogen sind. Eine Gesamtschau der Kriterien ist im Einzelfall anzustellen. Je stärker der Markt beschränkt wird, desto ausführlicher bzw. substantiierter müssen die Gründe dafür nachvollziehbar dokumentiert sein.
BayObLG, Beschluss vom 06.09.2023, Az.: Verg 5/22
VK Bund hat die Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen weitergeführt, wonach der Umstand, dass ein Bieter eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen Unternehmens
als Hosting-Dienstleister einbinden will, nicht ausreicht, um an der Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens, insbesondere hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Anforderungen, zu zweifeln.
Sachverhalt:
In einem EU-weiten Verfahren wird die Beschaffung von Reisebüroleistungen ausgeschrieben. Zuschlagskriterien sind der Preis und die voraussichtliche Qualität der Leistung anhand vorzulegender Konzepte.
Ziff. 3. der Leistungsbeschreibung definiert das Anforderungsprofil für die zu beschaffenden Reisebürodienstleistungen, die in Basisleistungen (Ziff. 3.1) und Zusatzleistungen (Ziff. 3.2) aufgeteilt
sind. Ziff. 3.15 enthält für die Basisleistungen unter anderem folgende Vorgabe: "3.1.5 Datenhaltung - Alle Datenhaltungen inklusive Back Office Systeme erfolgt auf Servern in der EU, idealerweise
in Deutschland."
Gemäß § 11 des bei den Vergabeunterlagen befindlichen Vertragsentwurfs soll u. a. folgendes vereinbart werden: "(1) Die Auftragnehmerin ist gesetzlich zur Einhaltung des Datenschutzes verpflichtet.
Sie benennt der Geschäftsstelle die Erreichbarkeitsdaten des hausinternen Datenschutzbeauftragten und hat sicherzustellen, dass alle Personen, die von ihr mit der Erfüllung der vereinbarungsgemäß
geschuldeten Leistungen betraut sind, die gesetzlichen Bestimmungen über den Datenschutz beachten. ... (2) Die vorstehend geregelten Verpflichtungen zum Datenschutz gelten ein Jahr über das Ende
der Rahmenvereinbarung hinaus."
Bieterin B gibt ein Angebot ab, mit welchem sie ausgeschlossen wird, da die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens nicht verbindlich nachvollzogen werden kann. Mit Schreiben vom 17. März 2023
informierte der Auftraggeber erstmalig B nach § 134 GWB, ihr Angebot könne wegen Unterschreitens der Mindestpunktzahl nicht berücksichtigt werden, es sei beabsichtigt, den Zuschlag an Bieterin C
(spätere Beigeladene) zu erteilen. Nach wechselseitigem Schriftverkehr zwischen den Beteiligten rügt B die erneut mitgeteilte, beabsichtigte Zuschlagserteilung an C mit Schreiben vom 17. April 2023.
Nach Erhalt einer Nichtabhilfeentscheidung beschwert sich B vor der zuständigen Vergabekammer, über die Entscheidung des Auftraggebers, den Zuschlag an C erteilen zu wollen.
Beschluss:
Mit Erfolg. Die Kammer betont, dass auch in diesem Fall der Grundsatz gelte, dass der öffentliche Auftraggeber dem Leistungsversprechen der Bieter vertrauen dürfe. Wenn ein Bieter mit seinem Angebot
zusage, die vertraglichen und datenschutzrechtlichen Vorgaben zum Hosting einzuhalten, und es unzweifelhaft ist, dass sie dazu auch in der Lage ist, besteht kein Raum für einen Angebotsausschluss.
Hypothetische Verfügungen US-amerikanischer Behörden, personenbezogene Daten aus einem etwaigen Auftragsverhältnis zweckwidrig herauszugeben, reichten hierfür nicht aus, da nicht per se davon
ausgegangen werden könne, dass die Bieterin einer solchen, gegen gesetzliche Pflichten verstoßende konzerninterne Weisung der US-amerikanischen Mutter auch Folge leisten würde.
Praxistipp:
Die Tatsache, dass ein Bieter eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen Unternehmens als Hosting-Dienstleister einbinden will, muss den Auftraggeber nicht an der
Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens zweifeln lassen. Bestehen Unklarheiten im Angebot, hat der Auftraggeber diese im Verfahren unverzüglich aufzuklären, damit der Zuschlag nur auf ein Angebot
erteilt wird, das die auftraggeberseitig gesetzten Vorgaben auch einhält, und damit ein korrektes Angebot den Zuschlag erhält. Mehr zu dieser Thematik, vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. September
2022, 15 Verg 8/22; 2. Vergabekammer des Bundes, Be-schluss vom 13. Februar 2023, VK 2-114/22)
VK Bund, Beschluss vom 20.06.2023, Az.: VK 2-34/23
Voraussetzung für eine Vergabe in Losen ist, dass die ausgeschriebene Leistung losweise vergeben werden kann. Hierfür ist auch entscheidend, ob sich für die konkrete Leistung ein eigener
Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war die Beschaffung eines Patientenportalsystems. Dieses sollte aus einer digitalen Aufnahme, Behandlungs- und Entlassungsmanagement bestehen. Eine Losaufteilung erfolgte nicht.
Von den zehn eingegangenen Teilnahmeanträgen haben acht Bewerber denselben Nachunternehmer für das Entlassungsmanagement benannt. Davon wird in fünf Fällen der Antragsteller (ASt) benannt.
Der ASt selbst reichte keinen eigenen Teilnahmeantrag ein. Vielmehr rügte er erfolglos die fehlende Vergabe des Auftrags in Losen und stellte einen Nachprüfungsantrag vor der zuständigen
Vergabekammer.
Beschluss:
Mit Erfolg. Der ASt war nach § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, obwohl er keinen Teilnahmeantrag abgegeben hat. Es ist von ihm substanziiert vorgetragen worden, dass er durch die unterbliebene
Losbildung verhindert wurde, sich an der Ausschreibung zu beteiligen. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die beabsichtigte Gesamtvergabe verletzt den ASt in seinen Rechten aus § 97 Abs.
6 GWB i. V. m. § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB.
Jedem Auftraggeber steht es zwar frei, den Gegenstand der Leistung zu bestimmen, die er beschaffen möchte. Zur Stärkung des Mittelstands müssen Leistungen aber grundsätzlich in Losen vergeben
werden. Dies wäre hier möglich gewesen, da sich für die spezielle Leistung des Entlassungsmanagements ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat.
Nach den - auf Studien gestützten - Feststellungen der Vergabekammer hat sich für das Entlassungsmanagement eine Art Start-Up-Szene mit spezialisierten Unternehmen gebildet. Dies war Folge
der Neuregelungen zum Entlassungsmanagement im Krankenhausrecht.
Zudem spiegeln die eingegangenen Teilnahmeanträge die Marktlage wider. Sie zeigen, dass in der aktuellen Marktsituation - entgegen der Behauptung der AG - keine komplette Patientenportalsoftware
existiert. Vielmehr müssen die Bewerber auf Fachunternehmen für das Entlassungsmanagement zurückgreifen.
Eine losweise Vergabe ist nicht ausnahmsweise nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB zulässig. Es liegen keine wirtschaftlichen oder technischen Gründe vor, die dies erfordern. Bei der Bewertung dieser
Frage steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, der durch die Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüft werden kann. Hier ist der AG jedoch von einem unzutreffenden Sachverhalt
ausgegangen. Er hat nämlich fehlerhaft angenommen, dass kein eigener Anbietermarkt für die einzelnen Funktionsweisen des Patientenportals bestehe. Das Unterlassen einer Losbildung war daher
vergaberechtswidrig.
Praxistipp:
Öffentliche Auftraggeber müssen den Markt erkunden, prüfen und das Festgestellte dokumentieren. Vorliegend waren die aktuellen Marktverhältnisse von wesentlicher Bedeutung. Die Frage, ob technische
oder wirtschaftliche Gründe es "erfordern", von einer Losbildung abzusehen, setzt eine Bewertung des Auftraggebers voraus. Die Überprüfung erfolgt anhand der im Vergabevermerk zeitnah dokumentierten
Abwägung.
VK Nordbayern, Beschluss vom 23.03.2023, Az.: RMF-SG21-3194-8-6
Der Auftraggeber legt in der Ausschreibung fest, in welchen Dateiformaten die Angebote einzureichen sind.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war die Beseitigung von Ölverunreinigungen in einem EU-weiten Verfahren. Das Angebot soll ein bepreistes Leistungsverzeichnis sowohl im Format GAEB als auch PDF enthalten.
Für das Fehlen der Datei als PDF wird in den Vergabeunterlagen zwingend der Ausschluss angedroht und eine Nachforderung ausgeschlossen. Den Bietern wird ein Benutzerhandbuch für die
e-Vergabe-Plattform zur Verfügung gestellt.
Bieter B übermittelt, nach mehreren vergeblichen Versuchen, sein Angebot mit dem bepreisten LV als GAEB-Datei, nicht jedoch als PDF. Der Auftraggeber schließt das Angebot des B aus, weil
es nicht die geforderten Unterlagen enthält. Das von B angestrengte Nachprüfungsverfahren blieb erfolglos.
Beschluss:
Das OLG Düsseldorf weist die sofortige Beschwerde des B als unbegründet zurück. Das Angebot des Bieters enthält nicht die geforderten Unterlagen. Die PDF-Datei darf auch nicht nachgefordert
werden, denn der Auftraggeber hat in den Vergabeunterlagen ausdrücklich den Ausschluss als Sanktion für das Fehlen der PDF-Datei angekündigt.
Zwar kann es unverhältnismäßig sein, ein Angebot nur wegen des Fehlens einer PDF-Datei auszu-schließen, wenn doch eine inhaltsgleiche GAEB-Datei vorliegt. Dies kann hier aber offenbleiben,
denn der Bieter hat den ausdrücklich in den Vergabeunterlagen angedrohten Ausschluss nicht während der laufenden Angebots-frist gerügt. Mögliche Einwände sind daher verspätet vorgetragen.
Das Fehlen der PDF-Datei beruht auch nicht auf einem Fehler in der Sphäre des Auftraggebers. Der Auftraggeber hat hier mit dem zur Verfügung gestellten Benutzerhandbuch Informationen zum
richtigen Vorgehen bei der Übermittlung des Angebots bereitgestellt. Ob diese Informationen ausreichten, konnte hier offenbleiben, da das Angebot des B auch teilweise verspätet einging -
und das Übermittlungsrisiko durch den Bieter zu tragen ist.
Praxistipp:
Der Auftraggeber bestimmt, in welchen Dateiformaten Angebote einzureichen sind. Hält der Bieter die Forderung von Unterlagen in mehr als einem Datei-Format (z. B. PDF und GAEB) für
unverhältnismäßig, muss er dies rechtzeitig gegenüber dem AG rügen. Auch trägt der Bieter grundsätzlich das Risiko des rechtzeitigen und vollständigen Eingangs seines Angebots in der vom
Auftraggeber geforderten Form.
Ausnahmefall davon wäre es, wenn der ordnungsgemäße Eingang des Angebots durch Umstände vereitelt würde, die in der Risikosphäre des Auftraggebers liegen. Zur Risikosphäre des Auftraggebers
wiederum gehört auch eine ordnungsgemäße Information der Bieter über die Vorgehensweise bei der Einreichung seines Angebots.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.08.2022, Az.: Verg 54/21
Ein Ausschluss eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots kommt nicht in Betracht, wenn der Auftraggeber anhand der vom Bieter vorgebrachten Begründung die geringe
Höhe des Angebotspreises zufriedenstellend aufklären kann.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren Planungsleistungen in einem EU-weiten Verfahren. Dem hiesigen Nachprüfungsverfahren war bereits ein weiteres Nachprüfungsverfahren vorangegangen, im Rahmen
dessen der Auftraggeber (AG) verpflichtet worden war, die Prüfung der Angemessenheit des Preises des Angebots der Beigeladenen zu wiederholen.
Nach durchgeführter Preisaufklärung hielt der AG an seiner beabsichtigten Zuschlagsentscheidung auf das Angebot der Beigeladenen fest. Dagegen wandte der Antragsteller ein, dass
das Angebot der Beigeladenen als ungewöhnlich niedriges Angebot einzustufen sei und den Zuschlag deshalb nicht erhalten dürfe.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Sofern die Beigeladene den im Vergleich zum Antragsteller geringeren Gemeinkostenfaktor damit erklärt, dass er zu 99% Aufträge für öffentliche AG bearbeitet und dass er
daher den Auftrag zum Zwecke der Referenzgewinnung benötigt, hält die Vergabekammer diese Aussage für plausibel.
Die Vergabekammer hat nicht zu bewerten, ob ein Angebot auskömmlich oder nicht auskömmlich ist, sondern ob die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot als auskömmlich oder nicht
zu bewerten, auf Basis eines zutreffend und hinreichend ermittelten Sachverhaltes und einer gesicherten Erkenntnisgrundlage getroffen wurde und im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar
ist. Aus der Referenzliste der Beigeladenen geht hervor, dass sich die benannten Referenzen der Grenze des anerkannten Referenzzeitraums annähern und dass die Beigeladene somit auf neue
Referenzen angewiesen ist.
Praxistipp:
Sofern Bieter eine seriöse Kalkulation ihres ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots nachweisen, indem die Gründe der Angebots- und Preisgestaltung nachvollziehbar und stichhaltig
aufschlüsselt werden, dürfen solche Angebote nicht ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist dabei, ob betreffende Bieter nachvollziehbar aufklären können, aufgrund sach- und/oder
unternehmensbezogener sowie wettbewerbsorientierter Gründe günstiger als das Bieterumfeld kalkuliert zu haben. Ein nachvollziehbarer Grund für eine sehr niedrige Kalkulation kann im
Einzelfall, wie vorliegend, auch die Erlangung einer neuen Referenz sein, um damit ein - wettbewerblich erwünschtes - Verbleiben im Markt zu gewährleisten.
VK Sachsen Beschluss vom 10.02.2023, Az.: 1/SVK/031-22
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die prüfende Behörde den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung
als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheids in Betracht kommt.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war im Kontext nationaler "Feuerwehrförderung" ein Löschfahrzeug für eine Kommune. Der Auftraggeber (AG) begeht als Zuwendungsempfänger mehrere
Vergabeverstöße gegen die im Zuwendungsbescheid enthaltenen Vergabeauflagen "VOL/A". Der Zuwendungsgeber (ZG) widerruft daraufhin 100 % der Fördermittel.
Der Rüge des AG, der ZG müsse im Rahmen seines Ermessens den konkreten Einzelfall berücksichtigen, wird nicht abgeholfen. Mangels ermessenslenkender landesrechtlicher
Vorgaben müsse bei schweren Vergabeverstößen voll gekürzt werden. Nach erfolgloser Klage legt der AG Berufung ein.
Beschluss:
Mit Erfolg. Zwar wurden in mehrfacher Hinsicht schwere Verstöße gegen die Vergabeauflage "VOL/A" begangen. Es müssen jedoch bei einem vom Regelfall abweichenden Sachverhalt
besondere Umstände bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt stets, dass die Behörde den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt
und prüft, ob nicht ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Bescheids in Betracht kommen könnte.
Daran fehlt es hier, weil der ZG fälschlicherweise davon ausgegangen ist, dass ihm nur hinsichtlich des "Ob" des Widerrufs, nicht aber hinsichtlich der Höhe der Rückforderung
("Wie") ein Ermessen zusteht. Es hätte dabei geprüft werden müssen, inwieweit die Schwere der Pflichtverstöße beachtlich sind.
Im zweiten Schritt wäre zu prüfen gewesen, ob und inwiefern sich die Verstöße auf den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auswirken.
Drittens war zu berücksichtigen, dass der Widerruf einen weiter zurückliegenden Zeitraum erfasst und eine hohe Rückzahlungspflicht auslöst, die für den Zuwendungsempfänger (AG)
wohl eine erhebliche finanzielle Belastung darstellt. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Widerruf auf bestimmte Zeiträume oder in anderer Weise zu beschränken ist.
Eine derartige Sachlage bietet vom Regelfall eines Widerrufs abweichende Umstände, die eine andere Entscheidung als den vollständigen Widerruf des ergangenen Bescheids als möglich
und gegebenenfalls sogar als geboten erscheinen lassen.
Praxistipp:
Die Entscheidung stellt klar, dass es in der "Widerrufsprüfung" keineswegs mit der bloßen Feststellung eines formalen Auflagenverstoßes getan ist (= Tatbestandsseite). Vielmehr
beinhaltet das Prüfprogramm des Zuwendungsgebers auch eine rechtkonforme Ermessensausübung im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (= Rechtsfolgenseite).
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.08.2022, Az.: 5 LB 9/20
Auftraggeber sind bei Wahrung der vergaberechtlichen Grundsätze berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Dies umfasst auch die nachträgliche Vorgabe,
dass bestimmte Unterlagen, wie vorliegend das Formblatt zur Stoffpreisgleitklausel, im Falle des Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert werden, und das Angebot
in diesem Fall auszuschließen ist.
Sachverhalt:
Durchgeführt wurde ein EU-weites Verfahren über die Ausführung von Landschaftsbauarbeiten. Der Auftraggeber änderte während der Angebotsfrist (am 17.10.2022) die
Vergabeunterlagen. Dadurch wurden sich beteiligende Bieter verpflichtet, weitere Unterlagen mit dem Angebot einzureichen. Dies beinhaltete auch ein von den Bietern
auszufüllendes Formblatt über eine Stoffpreisgleitklausel. Im Änderungspaket als auch aufgrund einer Bieterfrage stellte der Auftraggeber klar, dass diese Unterlage
für den Fall ihres Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert werde.
Bieter B lud sein Angebot fristgerecht am 04.11.2022 über die eVergabeplattform hoch, allerdings in einer Fassung vom 26.09.2022. Der Auftraggeber schloss das Angebot
des B aus, da diesem Angebot das auszufüllende Formblatt Stoffpreisgleitklausel nicht beigefügt war.
B rügte den Ausschluss vor der zuständigen Vergabekammer, mit der Begründung, die Vorlage des Formblatts sei nicht aus der ursprünglichen Ausschreibung erkennbar gewesen,
und hätte deshalb nicht nachträglich gefordert werden dürfen. Jedenfalls hätte einem Bieter, der die erst im Laufe des Vergabeverfahrens geforderte Einreichung der
Formblätter "erkennbar übersehen" habe, die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, diese nachzureichen.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Die Vergabekammer stellt in ihrem abweisenden Beschluss klar, dass Auftraggeber bei Wahrung der Verfahrensgrundsätze aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB (Transparenz,
Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit) grundsätzlich berechtigt sind, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Der vorliegende Nachforderungsausschluss sei von
§ 16a EU Abs. 2 VOB/A 2019 gedeckt, und zwar auch bei nachträglicher Festlegung, weil die Norm eine solche nicht verbiete. Das Angebot war deshalb wegen
Unvollständigkeit zwingend auszuschließen.
Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag bereits nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB unzulässig, weil der Bieter den vermeintlichen Vergaberechtsverstoß nicht rechtzeitig gerügt habe.
Die mit dem Änderungspaket nachträglich aufgestellte Vorgabe sei den Bietern genauso transparent übermittelt worden, wie der Hinweis, dass bei Nichtvorlage das Angebot
auszuschließen ist. Diese Konsequenzen hätte ein durchschnittlicher Bieter sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht erkennen können.
Praxistipp:
Bieter aufgepasst: Als registrierter Bieter werden Sie zwar über das Vorliegen geänderter Vergabeunterlagen informiert. Es obliegt jedoch den Bietern, die tatsächlichen
Änderungen zu erfassen und gegebenenfalls in das abzugebende Angebot einzuarbeiten bzw. ein bereits abgegebenes Angebot zurückzunehmen und ein neues einzureichen.
Die Vergabekammer hat in dieser Entscheidung klar formuliert, dass auch eine nachträgliche Vorgabe für den durchschnittlichen Bieter in Bezug auf ihre tatsächlichen
wie rechtlichen Auswirkungen erkennbar ist. Eine mögliche Vergaberechtswidrigkeit ist deshalb innerhalb der Fristen des § 164 Abs. 3 Nr. 1 GWB zu rügen.
VK Berlin, Beschluss vom 24.01.2023 (Az.: 2-35/22)
Der erforderliche Zweck ergibt sich aus dem Inhalt: Die Rüge soll dem Auftraggeber frühzeitig Gelegenheit geben, ein vergaberechtswidriges Verhalten zu erkennen und
dieses ggf. zu beseitigen, um das Vergabeverfahren möglichst rasch und ohne zeit- und kostenaufwändiges Nachprüfungsverfahren zum Abschluss zu bringen.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben in einem EU-weiten Verfahren war die "Planmäßigen Instandhaltung eines Schiffes". Verfahrensart war ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb.
In der Bekanntmachung hatte der öffentliche Auftraggeber in Ziffer VI.4.2 des Bekanntmachungsformulars unter der Überschrift „Einlegung von Rechtsbehelfen“ den
Wortlaut des § 160 Abs. 1 bis 4 GWB zitiert.
Nach dem Teilnahmewettbewerb wurden die geeigneten Bieter zur Angebotsabgabe (Erstangebote) aufgefordert. Unter der Überschrift „Verfahrensgrundsätze“ gab der
Auftraggeber in der Angebotsaufforderung an: „Die vertraglichen Regelungen dieses Vertrages sind (…) nicht verhandelbar.“
Im Rahmen der Bieterfragen zum ausgeschriebenen Vertrag teilte Bieter B dem Auftraggeber mit, dass er das Vorgehen der Vergabestelle in mehreren Punkten für
fehlerhaft halte, z. B. dass er den „Wettbewerb um Kernleistungen des Vergabefahrens kritisch gestört" sehe, dass er "die dem Verfahren von Seiten des Auftraggebers
unterstellte zeitliche Machbarkeit" bezweifele, dass ihm der "vorgesehene neue Vertrag hinsichtlich der beabsichtigten Reparaturbeauftragung ... befremdlich"
erscheine. Die vorgebrachten Kritikpunkte schloss er jeweils mit der Frage ab: "Wie stellt sich [der Auftraggeber] im Wettbewerbsfahren verantwortlich zu dieser
Problematik?"
Der AG beantwortete die Fragen, änderte die Vergabeunterlagen jedoch nicht. Nach der Wertung der Angebote teilte der Auftraggeber B mit, dass er beabsichtige,
den Zuschlag an einen Wettbewerber zu vergeben. Dies rügte der B. Der Auftraggeber half der Rüge nicht ab und B beantragte ein Nachprüfungsverfahren.
Beschluss:
Mit Erfolg. Für die Frage, ob es sich um Rüge oder Bieterfrage handelt, komme es nicht darauf an, wie der Antragsteller selbst seine Schreiben verstanden wissen wolle.
Ob ein konkretes Bieterverhalten eine Rüge i. S. d. § 160 Abs. 3 GWB darstelle, sei von den Vergabenachprüfungsinstanzen objektiv zu beurteilen und stehe nicht
zur Disposition der Beteiligten.
Anderenfalls könnte ein Bieter mit dem Argument, bisher habe er nur Fragen gestellt, aber keine Rüge erhoben, mit einer „echten“ Rüge zuwarten, ob er den Zuschlag
erhält oder nicht. Ein solches „Taktieren“ mit einer Rüge sei gesetzgeberisch jedoch nicht gewollt. Denn die Rüge soll dem Auftraggeber frühzeitig Gelegenheit
geben, ein vergaberechtswidriges Verhalten zu erkennen und dieses ggf. zu beseitigen, um das Vergabeverfahren möglichst rasch und ohne zeit- und kostenaufwändiges
Nachprüfungsverfahren zum Abschluss zu bringen.
Der erforderliche Inhalt einer ordnungsgemäßen Rüge ergäbe sich aus deren Zweck. Mit einer Rüge bringe ein Bieter zum Ausdruck, dass er eine Vorgehensweise oder
ein Verhalten des Auftraggebers beanstanden will. Eine ordnungsgemäße Rüge setze daher nicht nur voraus, dass die Tatsachen, auf die die Beanstandung gestützt wird,
so konkret wie für die Nachvollziehbarkeit nötig benannt werden, sondern auch, dass aus der Rüge deutlich wird, dass es sich hierbei um einen Vergaberechtsverstoß
handelt, dessen Abhilfe begehrt wird.
Um das Erheben einer Rüge und damit den Rechtsschutz nicht unangemessen zu erschweren, seien die Anforderungen an deren Form und Inhalt gering. Daher brauche der
Vergaberechtsverstoß nicht exakt, z. B. durch das Nennen einer bestimmten Rechtsnorm, bezeichnet zu werden. Unschädlich sei es daher auch, wenn der betreffende
Bieter in seiner Rüge eine andere Rechtsnorm angibt, die verletzt sein soll, als sein erst später hinzugezogener Rechtsanwalt – ebenso wenig komme es darauf an,
ob die von ihm genannte Norm tatsächlich verletzt oder z. B. bereits nicht einschlägig sei.
Unerheblich für das Vorliegen einer Rüge sei ebenfalls, dass die Beanstandungen des Antragstellers regelmäßig mit einem Fragezeichen endeten. Auch in einem solchen
Fall handele es sich nicht um reine Fragen, sondern um „Rügen“ i. S. d. § 160 Abs. 3 GWB, wenn sich aus dem Inhalt der „Frage“ insgesamt ergibt, dass es sich
nicht nur um eine bloße (Verständnis-) Frage oder um eine reine Äußerung rechtlicher Zweifel handelt, sondern dass das Vorgebrachte als Mitteilung zu verstehen
sein soll, dass der Antragsteller die derzeitige Vorgehensweise des Auftraggebers für vergabefehlerhaft hält, verbunden mit der ernstgemeinten Aufforderung an
den Auftraggeber, diesen Vergaberechtsverstoß zu beseitigen.
Eine Nichtabhilfeentscheidung durch den Auftraggeber liege dann vor, wenn die Vergabestelle in ihrer Antwort auf eine Rüge eindeutig zum Ausdruck bringt, dass
sie die Rüge als unzutreffend abtut und ihr endgültig nicht abhilft. Es reiche aus, wenn ein Auftraggeber zu einzelnen Rügen konkret Stellung nimmt und mit
seiner Stellungnahme keine Änderungen der Vergabeunterlagen in Aussicht stellt. Denn bereits dann sei einem Bieter unmissverständlich klar, dass er sein Angebot
auf unveränderter Grundlage abzugeben hat.
Praxistipp:
Wenn sich aus dem Inhalt der „Frage“ insgesamt ergibt, dass es sich nicht nur um eine bloße Verständnisfrage oder um eine reine Äußerung rechtlicher Zweifel handelt,
sondern dass das Vorgebrachte als Mitteilung dahingehend zu verstehen ist, dass der Antragsteller die Vorgehensweise des Auftraggebers für vergabefehlerhaft und somit
rechtsverletzend hält, handelt es sich um eine Rüge.
VK Bund, Beschluss vom 28.05.2020 (Az.: VK 1-34/20)
Auftraggeber hat alle für die Angebotskalkulation relevanten Merkmale einzubeziehen, sofern er solche ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorgegeben hat.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren in einem offenen Verfahren Bewachungsdienstleistungen. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Der Auftraggeber hat im Preisblatt
Kalkulationsgrundlagen vorgegeben. Dazu gehört die Anwendung eines konkret bezeichneten aktuellen Lohntarifvertrags.
Nach der Wertung gelangt das Angebot des Bieters B auf Platz eins, das des Bieters A auf Platz drei. A rügt, der Auftraggeber hätte wegen des ungewöhnlich niedrigen
Preises des Angebots des B eine Aufklärung nach § 60 Abs. 1 VgV durchführen müssen. Der Auftraggeber weist dies mit der Begründung zurück, die Aufgreifschwelle für
die Aufklärung sei nicht erreicht worden. A wendet sich an die zuständige Vergabekammer.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Aber die Kammer stellt klar, dass es bei der Pflicht zur Aufklärung eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises nicht nur auf das Vorliegen der
Aufgreifschwelle (ist in der Regel der Abstand von mindestens 20% zum nächsthöheren Angebot oder der eigenen Auftragswertschätzung) ankommt.
Der Auftraggeber hat bei der Entscheidung, ob ein Angebotspreis ungewöhnlich niedrig ist, einen Einschätzungs- bzw. Beurteilungsspielraum. Einbeziehen muss er neben
den konkurrierenden Angeboten auch Merkmale des konkreten Auftragsgegenstands, wie in diesem Fall die kalkulationsrelevanten Vorgaben. Ansonsten kann eine Prüfung
nach § 60 VgV nicht fehlerfrei gelingen, weil kalkulationsrelevante Aspekte gemäß den Vorgaben des Auftraggebers ohne Grund ausgeblendet würden. Vorliegend hat der
Auftraggeber die erforderliche Plausibilitätsprüfung im Nachprüfungsverfahren durch Dokumentation belegt.
Praxistipp:
Der Beschluss der VK Bund ergänzt die bestehende Rechtsprechung zur gebotenen Aufklärung wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises insoweit, dass sich der
öffentliche Auftraggeber nicht allein auf die Feststellung zurückziehen darf, die Aufgreifschwelle sei nicht erreicht.
VK Bund, Beschluss vom 24.11.2022, Az.: VK 2-94/22
Optische Erwägungen unterliegen der subjektiven Betrachtung. Eine Überprüfung durch eine Vergabekammer findet damit in Bezug auf die vorgebrachten Erwägungen auf
Nachvollziehbarkeit statt.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren Bodenbelagsarbeiten im Rahmen eines Neubaus eines Berufskollegs mit einem Gesamtvolumen von 40 Mio. Euro. Für die benötigten Kautschukböden
ist ein bestimmtes Produkt in den Vergabeunterlagen benannt. Über dieses Produkt hatte eine Baukommission nach einer Bemusterung entschieden. Begründet ist die
produktspezifische Ausschreibung in erster Linie mit der auf dem Markt einzigartigen Optik des Bodenfabrikats.
Bieter B beanstandet dies als Verstoß gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung und wendet sich an die zuständige Vergabekammer: Er unterhält keine
laufenden Geschäftsbeziehungen zum Lieferanten des ausgeschriebenen Fabrikats und kann deshalb kein besonders günstiges Angebot unterbreiten.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Grundsätzlich besteht ein Leistungsbestimmungsrecht für den öffentlichen Auftraggeber. Das bedeutet, er ist bei der Entscheidung für eine bestimmte
Leistung frei. Das Vergaberecht regelt nicht das „was“, sondern erst das „wie“, sobald ein Verfahren gestartet wird.
Eine produktspezifische Ausschreibung ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Produktneutralität. Sie ist vergaberechtskonform, wenn der Auftraggeber nachvollziehbare
objektive und auftragsbezogene Gründe in seiner Dokumentation darlegt und diese Bestimmung willkürfrei getroffen worden ist. Zudem müssen die Gründe tatsächlich
vorhanden und nichtdiskriminierend sein. Der Auftraggeber hat einen Beurteilungsspielraum. Seine Entscheidung muss jedoch nachvollziehbar begründet sein.
Vorliegend hat der Auftraggeber ausgeführt, dass der gewählte Bodenbelag im Rahmen der Bemusterung einen hochwertigeren Eindruck gemacht hätte als vergleichbare
Bodenbeläge. Auch hält es die Vergabekammer für nachvollziehbar, dass sich der Bodenbelag in das gestalterische Gesamtkonzept einfügt.
Praxistipp:
Die Überprüfbarkeit von stark subjektiv geprägten Begründungen gestaltet sich immer schwierig. Deshalb kommt es – wie so oft – auf eine ausführliche Dokumentation
in der Vergabeakte an. Damit lässt sich nachvollziehen, ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten wurden. Für potenzielle Bieter ist es sicherlich
hilfreich, frühzeitig darüber informiert zu werden, wenn es auch auf das gestalterisches Gesamtkonzept ankommt.
VK Westfalen, Beschluss vom 16.03.2022, Az.: VK 2-7/22
Eine wirksame Aufhebung ist in vergabeverfahrensrechtlicher Hinsicht rechtswidrig, wenn der Auftraggeber seine Entscheidung nicht auf einen in der
einschlägigen Vergabeverordnung genannten Aufhebungsgrund stützen kann.
Sachverhalt:
Der Auftraggeber (AG) macht 2021 ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb nach den Maßgaben der VSVgV über einen
Rahmenvertrag mit einer Laufzeit bis 31.12.2025 bekannt. Mit Schreiben vom 19.05.2022 informiert der AG die Bieter, er hebe das Vergabeverfahren
nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV auf, da sich die Grundlagen des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hätten. Die Vergabe der Leistungen sei mit
geändertem Leistungsumfang beabsichtigt und werde zu einem späteren Zeitpunkt neu eingeleitet.
Grund für die Aufhebung ist, dass ein zwingend vorgegebener Nachunternehmer am 17.05.2022 erklärt, er könne die geforderten Flugzeuge nur bis zum
30.06.2023 zur Verfügung stellen. Bieter A beantragt die Aufhebung der Aufhebung und hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung.
Beschluss:
A hat mit seinem hilfsweise vorgetragenen Antrag Erfolg: Die zunächst vorgesehene Leistung kann nicht mehr in dem zeitlichen Rahmen umgesetzt werden, wie
zunächst ausgeschrieben. Ein sachlicher Grund zur Aufhebung liegt vor. Die Wirksamkeit der Entscheidung, auf die weitere Durchführung des Vergabeverfahrens
zunächst zu verzichten, schließt eine in der Hauptsache begehrte Aufhebung der Aufhebung bzw. die Fortführung des Verga-beverfahrens aus.
Die Aufhebung allerdings ist in vergaberechtlicher Hinsicht rechtswidrig erfolgt. Nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV kann ein Vergabeverfahren aufgehoben werden,
wenn sich die Grundlagen des Vergabeverfahrens wesentlich geändert haben. Dabei dürfen die der Aufhebung zugrunde liegenden Umstände für den öffentlichen
Auftraggeber nicht vorhersehbar und nicht zu verantworten sein.
Vorliegend trägt der AG das Risiko dafür, dass die Umsetzung von ihm gesetzter zwingender Vorgaben für den Einsatz von Unterauftragnehmern tatsächlich möglich ist.
Für zwingend vom Auftraggeber vorgegebene Unterauftragnehmer folgt daraus, dass grundsätzlich der Auftraggeber dafür verantwortlich bleibt, dass diese dem
Hauptauftragnehmer tatsächlich zur Verfügung stehen. Derartige Vorgaben entstammen der dem Auftraggeber obliegenden Definitionshoheit über den Beschaffungsgegenstand,
auf die ein Bieter bzw. der spätere Auftrag-nehmer grundsätzlich keinen Einfluss nehmen kann. Da der AG das somit ihm obliegende Risiko für die vom Nachunternehmer
zur Verfügung zu stellenden Flugzeuge gegenüber den Bietern auch nicht ausdrücklich eingeschränkt hat, unterfällt die Verfügbarkeit der Flugzeuge der Risikosphäre
des AG und nicht der Bieter.
Praxistipp:
Ist eine Aufhebung rechtswidrig, jedoch sachlich begründet, besteht regelmäßig „nur“ ein Anspruch der Bieter auf Ersatz des negativen Interesses, also insbesondere
der Angebotserstellungskosten, nicht aber auf Ersatz des entgangenen Gewinns.
VK Bund, Beschluss vom 02.08.2022 (Az.: VK 2-64/22)
Eine Prüfung muss erfolgen, wenn das Angebot 16 % vom nächsthöheren abweicht, weit unterhalb der Kostenschätzung liegt und der Bieter
selbst den Preis seines ersten Angebots mit seinem finalen Angebot unterschreitet.
Sachverhalt:
EU-weit ausgeschrieben war die Beschaffung und Inbetriebnahme einer Lichtsignalsteuerzentrale im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit
Teilnahmewettbewerb. Der öffentliche Auftraggeber (AG) fordert einen Bieter (B) zur Erläuterung seines finalen Angebotspreises auf, welcher
ca. 60 % unter dem eigenen Erstangebot lag, ohne dass sich das Leistungsspektrum geändert oder die Mitbewerber ähnliche Korrekturen vorgenommen
hätten. B begründete die Abweichung mit seinem erheblichen Interesse am Auftrag und daher der Verteilung der Entwicklungskosten aus diesem Projekt
auf mehrere anderen Projekte, Quersubventionierung, Standardlösungen und entsprechenden Synergien.
B wurde daraufhin mit der Begründung ausgeschlossen, dass das Angebot nach § 60 Abs. 3 VgV auszuschließen sei, da u. a. erhebliche preisliche
Abweichungen zu anderen Angeboten und das Risiko mangelhafter Leistung bestehen, da erforderliche Aufwände drastisch unterschätzt würden. Es sei
zudem unklar, warum diese Synergien gerade zwischen dem Erst- und Zweitangebot entstanden sein sollten.
B beschwerte sich vor der zuständigen Vergabekammer. Der eingelegte Nachprüfungsantrag wurde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich
der Bieter mit der sofortigen Beschwerde.
Beschluss:
Ohne Erfolg! Das OLG Frankfurt kommt in Übereinstimmung mit der Entscheidung der Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass der AG vergaberechtskonform eine
Preisprüfung durchgeführt und das Angebot des Bieters zu Recht nach § 60 Abs. 1, 3 VgV ausgeschlossen hat. Es sei nicht fehlerhaft, dass der AG entgegen
der vorherrschenden Vorgehensweise bei der Ermittlung der Aufgreifschwelle nicht das nächsthöhere Angebot (hier sei eine Abweichung von 10 % bis 20 %
ausreichend) mit 100 %, sondern das Angebot des Bieters mit 100 % angesetzt und auf die drastische Reduzierung gegenüber dem Erstangebot abgestellt hat.
Beides seien Umstände, die ebenfalls als Bezugspunkte für die Annahme eines Unterkostenangebots in Betracht kommen. Der AG könne den Bezugspunkt für die
Frage, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliegt, frei wählen und die Preisprüfung auf mehrere Gründe stützen.
Zudem kommt der Senat zu dem Ergebnis, die Bewertung des AG halte sich im Rahmen des dem AG eingeräumten Beurteilungsspielraums. Unter anderem sei die
Beurteilung, der Bieter habe die erhebliche Preisreduzierung nicht nachvollziehbar erläutert, fehlerfrei. So stünden die Ausführungen zu
Entwicklungsleistungen und Rückgriff auf Standardlösungen im Widerspruch. Die erwarteten Synergien seien nicht nachvollziehbar erläutert. Der AG
habe die Prognoseentscheidung, dass eine ordnungs- und vertragsgemäße Leistung nicht zu erwarten ist, vergabefehlerfrei getroffen.
Praxistipp:
Die Entscheidung verdeutlicht, welcher Prüfauftrag wann auf einen öffentlichen Auftraggeber zukommt. Der AG hat einen Beurteilungsspielraum, ob er
das Angebot als ungewöhnlich niedrig ansieht oder nicht. Natürlich ist – wie immer – sorgfältig zu dokumentieren.
Für die Bieterseite ist wiederum erkennbar, was sie erledigen muss, sofern sie in einem Verfahren hinsichtlich der Angemessenheit des Angebotspreises
befragt wird: Schlichte Behauptungen an einem hohen Interesse am Auftrag reichen nicht, um einen Ausschluss zu vermeiden. Es müssen vielmehr sach-
und/oder unternehmensbezogene sowie wettbewerbsorientierte Gründe dargelegt werden.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.07.2022 (Az.: 11 Verg 4/22)
Eignungsleihe dient der Nachweisführung der Eignung eines Bieters – Nachunternehmer übernehmen einen Teil der Leistungsausführung.
Sachverhalt:
Im Rahmen der Eignung fordert der Auftraggeber zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit einen bestimmten
Mindestumsatz in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren sowie eine Mindestanzahl von fünfunddreißig Mitarbeitern.
Bieter A gibt im VHB-Formblatt 235 an, dass er sich in zwei der ausgeschriebenen Leistungsbereichen anderer Unternehmen bedienen
will. Er wird ausgeschlossen, da er die Mindestkriterien an Umsatz und Mitarbeiteranzahl nicht erfülle.
A rügt, in dem er angibt, durch den beabsichtigten Einsatz der Nachunternehmerin N wären die geforderten Mindestkriterien erfüllt.
Es fehle zwar im Formblatt 235 die namentliche Benennung, dies sei aber auch nicht gefordert gewesen.
Nach Erhalt der Nichtabhilfeentscheidung stellt A einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer.
Beschluss:
Ohne Erfolg. A hat in Formblatt 235 angegeben, dass und in welchen Leistungsbereichen er sich zur Ausführung der im Angebot enthaltenen
Leistungen anderer Unternehmen als Nachunternehmer bedienen wird. Aus dieser bloßen Benennung des beabsichtigten Nachunternehmereinsatzes
ist aber nicht ableitbar, dass eine Eignungsleihe beabsichtigt ist, da dies zwei unterschiedliche Formen der Inanspruchnahme anderer
Unternehmen sind.
A wäre verpflichtet gewesen, in seinem Angebot geltend zu machen, dass er sich - gegebenenfalls zusätzlich zum beabsichtigten
Nachunternehmereinsatz - zum Nachweis der Eignung einer Eignungsleihe bedienen will.
Dabei sind keine hohen Anforderungen an die diesbezüglichen Angaben des Bieters im Angebot zu stellen. Der Bieter muss nur irgendwie
kenntlich machen, dass er die Eignungsleihe zur Nachweisführung seiner Eignung beabsichtigt, damit der Auftraggeber diesem Aspekt im
Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen kann.
Eine solche Kenntlichmachung der Eignungsleihe ist im Angebot des A nicht erfolgt. Ein auf Formblatt 235 irgendwie getätigter Eintrag,
der erkennbar an dieser Stelle fehlerhaft ist, weil er ganz klar keinen Bezug zu einer beabsichtigten Eignungsleihe hat, kann nicht dazu
führen, hieraus im Nachgang eine Eignungsleihe zu konstruieren oder einen Auftraggeber zu verpflichten, das Angebot im Hinblick auf
eine Eignungsleihe aufzuklären. Damit nämlich könnte sich ein Bieter rechtsmissbräuchlich einen Vorteil dadurch schaffen, dass er sich
eine im Zeitpunkt der Angebotserstellung noch nicht beabsichtigte Eignungsleihe durch einen bloßen Eintrag in die untere Tabelle des
Formblatts 235 für einen späteren Zeitpunkt vorbehält.
Praxistipp:
Im Rahmen der Eignungsleihe bedient sich ein Bieter der Kapazitäten dritter Unternehmen, um seine für die Ausschreibung geforderte
Eignung nachzuweisen. Nachunternehmerschaft/Subunternehmerschaft bedeutet, dass ein Unternehmen ein drittes Unternehmen mit der teilweisen
Ausführung betraut. Der Bieter muss in seinem Angebot kenntlich machen, dass er die Eignungsleihe zur Nachweisführung seiner Eignung
beabsichtigt.
VK Sachsen, Beschluss vom 24.11.2021 (Az.: 1/SVK/032-21)
Hat der Auftraggeber nachgeforderte Referenzen inhaltlich geprüft und für unzureichend erachtet, darf er den Bieter kein weiteres Mal
zur Nachreichung von Referenzen auffordern.
Sachverhalt:
Ein Auftraggeber forderte in einem europaweiten offenen Verfahren mindesten drei vergleichbare Referenzen. Bieter A fügte seinem Angebot
keine Referenzen bei.
Daraufhin forderte der Auftraggeber die fehlenden Referenzen nach. A reichte sodann neun Referenzen ein. Von diesen erfüllte nur eine
Referenz die gewünschten Anforderungen. Dies teilte der Auftraggeber A mit. Daraufhin reichte dieser unaufgefordert noch innerhalb der
ursprünglich gesetzten Frist sechs weitere Referenzen ein. Diese Referenzen erfüllten alle die geforderten Mindestanforderungen.
Der Auftraggeber schloss A vom Verfahren mit der Begründung aus, dass er die weiteren eingereichten Referenzen nicht berücksichtigen dürfe.
Gegen den Ausschluss wendet sich A mit einem Nachprüfungsantrag.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Das Angebot des A erfüllt die Mindestanforderungen an die Referenzen nicht. Die weiteren nachgereichten sechs Referenzen
wurden zu Recht nicht im Rahmen der Eignungsprüfung vom Auftraggeber berücksichtigt.
Der Nachforderungsvorgang ist durch die zunächst nachgereichten neun weiteren Referenzen abgeschlossen gewesen. A war nicht berechtigt,
unaufgefordert weitere Referenzen nachzureichen – unabhängig davon, ob dies noch in der ursprünglich gesetzten Frist erfolgte.
Etwas anderes kann nur gelten, wenn ein Auftraggeber verpflichtet ist, Unterlagen nachzufordern und dies unterlässt. Vorliegende
Sachverhaltskonstellation ist jedoch eine andere: Eine Berücksichtigung der sechs weiteren eingereichten Referenzen hätte zu einer
vergaberechtlich unzulässigen inhaltlichen Nachbesserung, sprich Nachverhandlung, des Angebots geführt.
Praxistipp:
Ein Bieter darf nur dann von sich aus fehlende Nachweise/Unterlagen nachreichen, wenn der Auftraggeber ihn hierzu hätte auffordern
müssen. Hat der Auftraggeber nachgeforderte Referenzen inhaltlich geprüft und für unzureichend erachtet, darf er den Bieter kein
weiteres Mal zur Nachreichung von Referenzen auffordern. Eine Nach-forderung im Rahmen der Eignung ist nur bei fehlenden, unvollständigen
oder fehlerhaften (Formalien) Angaben möglich. Eine Korrektur des Inhalts ist unzulässig.
VK Bund, Beschluss vom 11.03.2022 (Az.: VK 1-23/22)
1. Ungeachtet seines Inhalts entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift wie etwa ein Erlass keine vergaberechtliche Relevanz
in einem Nachprüfungsverfahren, die Gegenstand einer vergaberechtlichen Prüfung sein kann.*)
2. Die Kostenschätzung kann zwar, sofern Umstände und Erkenntnisse dies erfordern, während des Vergabeverfahrens aktualisiert werden.
Insbesondere bei einer langen Angebotsphase, oder bei unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Preise zeitigenden Ereignissen kann sonst die
ursprüngliche Kostenschätzung kein belastbarer Indikator für sehr hohe oder niedrige Preise sein. Sie muss allerdings auf jeden Fall vor
Eingang der Angebote abschließend durchgeführt werden.*)
3. Kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriges Angebot vorliegen könnte, tritt er in die Preisprüfung ein.
Kann die Preisprüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht durchgeführt werden, ist der Auftraggeber gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A
2019 verpflichtet, Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung beim Bieter zu verlangen.*)
4. Die Unauskömmlichkeit eines Angebots hat nicht zwingend einen unangemessen niedrigen Angebotspreis zur Folge. Auch ist - wie teilweise
in der Fachliteratur und Judikatur geschehen - Unauskömmlichkeit nicht mit Unangemessenheit gleichzusetzen. So spricht der BGH etwa
ausdrücklich und ausschließlich von "Unangemessenheit" bzw. "unangemessen niedrigen Preisen" (vgl. IBR 2017, 209 = VPR 2017, 42).*)
5. Aus der Erklärung eines Bieters, die Leistung nicht (mehr) auskömmlich erbringen zu können, folgt nicht zwingend das Vorliegen eines
Angebots mit einem unangemessen niedrigen Preis, das ausgeschlossen werden kann oder muss. Andernfalls hätte es der Bieter durch die
Abgabe einer solchen Erklärung in der Hand, sich nach Angebotsabgabe und während der Bindefrist von seinem Angebot zu lösen.*)
6. Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der
Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021 - Verg 1/20,
IBRRS 2022, 1484 = VPRRS 2022, 0111 m.w.N.).*)
7. Erst dann, wenn das aufgebürdete Wagnis über die üblichen Risiken hinausgeht, sich nicht abschätzen lässt und demzufolge eine
Kalkulation unmöglich macht, kann gegen das Gebot des § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2019 verstoßen werden (vgl. statt vieler und jüngst: OLG
Düsseldorf, a.a.O.). Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das
Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., sowie Beschluss vom 09.07.2003 - Verg 26/03, IBRRS 2003, 1975 =
VPRRS 2003, 0507 m.w.N.). Unbeachtlich ist insoweit, ob das Wagnis vom Auftraggeber selbst oder weder von ihm noch dem Auftragnehmer
beherrschbar ist (vgl. VK Brandenburg, IBR 2008, 675 ).*)
VK Westfalen, Beschluss vom 12.07.2022 - VK 3-24/22
Die Entscheidung im Volltext finden Sie
hier.
Nichtbeachtung der Stoffpreisgleitklausel kann zur Zurückversetzung des Verfahrens führen
Sachverhalt:
In einem EU-weiten Verfahren war die Herstellung einer elektrotechnischen Anlage ausgeschrieben. Fristgerecht gingen fünf Angebote ein.
Aufgrund abweichender Typenbezeichnung forderte der Auftraggeber die Vorlage der Produktdatenblätter.
Bieter B gab an, dass ihm bei einer der zehn Eintragungen ein Kopier-/Übertragungsfehler hinsichtlich der Typenbezeichnung unterlaufen sei
und korrigierte die Angaben im Angebot. Der Auftraggeber teilte daraufhin mit, dass das Angebot von der Wertung ausgeschlossen würde, da
die Bedingungen der Ausschreibung nicht erfüllt seien. Das angebotene Mulitmessgerät entspreche nicht dem geforderten Schutzwandler – zudem
entsprechen die nachgereichten Produktdatenblätter nicht den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses.
B gab an, dass die Leistungsbeschreibung nicht widerspruchsfrei und zudem gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung verstoßen
worden sei. Der Rüge wurde nicht abgeholfen. B zog daraufhin einen anwaltlichen Bevollmächtigten hinzu, der die Rüge aufrechterhielt und
erweiterte: Neben dem offensichtlichen Übertragungsfehler des B liege zudem ein Verstoß gegen den Bieterschutz vor, da es an einer
Stoffpreisgleitklausel fehle und damit der Bieterseite ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt wurde.
Der Auftraggeber reagierte auf die erneute Rüge nicht. B wandte sich daraufhin an die zuständige Vergabekammer.
Beschluss:
Mit Erfolg. Die Vergabekammer gibt dem Nachprüfungsantrag überwiegend statt und verpflichtet den Auftraggeber, das Verfahren in den Stand
vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Die Begründung für die Zurückversetzung des Verfahrens ergibt sich ausschließlich aus der Rüge einer
fehlenden Preisgleitklausel – der Ausschluss des Angebots war hingegen zu Recht erfolgt: Die angebotenen Schutzwandler erfüllten
nachweislich nicht die Leistungsanforderungen des Auftraggebers. B habe durch seine Korrektur eine unzulässige Änderung an den
Vergabeunterlagen vorgenommen. Auf den angeblichen Kopier-/Übertragungsfehler komme es nicht an.
Mit Blick auf die aktuelle Lage und Verweis auf das Rundschreiben des BMWSB vom 25. März dieses Jahres hätte der Auftraggeber die Aufnahme
einer Stoffpreisgleitklausel nicht ablehnen dürfen. Der im Januar 2022 erstellte Vermerk des Auftraggebers mit der Einschätzung einer
moderaten Preisentwicklung sei mit Beginn des Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 inhaltlich überholt gewesen. Auch ein weiterer
Vermerk in der Vergabeakte vom 30. März, wonach der Auftraggeber in einer Rückversetzung nach Angebotsöffnung eine Wettbewerbsverzerrung
sieht, hält vor der Vergabekammer nicht stand. Der Auftraggeber sei von dem Rundschreiben des Bundes und einer entsprechenden
Verwaltungsvorschrift des Landes ohne sachlichen, rechtfertigenden Grund abgewichen.
Die Kammer stellte zudem fest, dass es für einen fähigen Bieter nicht ohne Hinzuziehung anwaltlicher Beratung erkennbar war, dass das
Fehlen einer Preisgleitklausel einen Vergabeverstoß begründen könnte.
Praxistipp:
Auftraggeber sollten vor und für laufende Verfahren genauestens prüfen, ob die Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel gerechtfertigt
scheint. Dies auch, wenn es von Bieterseite keinen Anstoß dazu gibt.
Die Begründung der Entscheidung wird ein Stück weit durch den Erlass zur Verlängerung der Stoffpreisgleitklauseln vom 22. Juni eingeholt:
Für laufende Verfahren wird darin klargestellt, dass die nachträgliche Einbeziehung der Stoffpreisgleitklausel nicht ausnahmslos erfolgen
müsse. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile könne im Einzelfall davon abgesehen werden.
Was für den Auftraggeber in jedem Falle bleibt: In der Vergabeakte muss dies ausführlich begründet und dokumentiert werden.
VK Thüringen, Beschluss vom 03.06.2022, Az.: 5090-250-4002/779
Für den Rechtsverkehr ist entscheidend, dass die Identität des Bieters als potenzieller Vertragspartner erkennbar ist. Das Angebotsschreiben muss
vom Bieter entsprechend ausgefüllt sein.
Sachverhalt:
Im Rahmen eines EU-weiten Verfahrens versendet der öffentliche Auftraggeber elektronisch unter dem Datum 14.12.2021 ein Informationsschreiben nach
§ 134 GWB. Darin gibt er an, den Zuschlag am 14.12.2021 auf das Angebot des Bieters A erteilen zu wollen.
Bieter B rügt, indem er vorbringt, A erfülle die geforderten Leistungskriterien nicht. Der öffentliche Auftraggeber nimmt daraufhin in eine
Aufklärung über das Angebot des A vor und erteilt diesem am 27.12.2021 den Zuschlag. B leitet ein Nachprüfungsverfahren vor der zuständigen
Vergabekammer ein.
Beschluss:
Mit Erfolg. Die Vergabekammer stellte fest, dass der Vertrag, auf den der Zuschlag erteilt worden ist, nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB als von Anfang
an unwirksam ist. Der öffentliche Auftraggeber hat gegen die Wartepflicht aus § 134 GWB verstoßen, indem er für den vorgesehen Zuschlag ein
falsches Datum angegeben hat. Dadurch hat die Wartefrist nicht begonnen zu laufen.
Darüber hinaus stellt die Kammer fest, dass das Angebot des A nach § 57 Abs. 1 Nr. 1, § 53 VgV hätte ausgeschlossen werden müssen. A hat im
Angebotsschreiben des zur Verfügung gestellten Formblatts das Textfeld nicht ausgefüllt, in dem Name und Adresse des Bieters hätten angegeben
werden müssen. Auf dem Formblatt angegeben war seitens des öffentlichen Auftraggebers, dass ein Ausschluss zwingend erfolgt, sofern ein Bieter
nicht erkennbar ist.
Vorliegend sei die Identität des Vertragspartners aus der Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts nicht erkennbar gewesen. Die Angaben zur
Identität hätten zwingend auf dem Formblatt ausgefüllt werden müssen, da das Angebotsschreiben ein Kernbestandteil des Angebots darstellt, welches
eine bindende Erklärung des Bieters über die Angebotsbestandteile enthält. Aus diesem Grund lässt die Vergabekammer auch das Argument nicht gelten,
dass die bieterbezogenen Angaben teilweise an anderen Stellen im Angebot vorhanden waren.
Praxistipp:
Bieter aufgepasst: Die fehlenden Angaben im Formblatt zur Bieteridentität sind wegen ihrer Bedeutung kein bloßer Formmangel, der gegebenenfalls
hätte geheilt werden können. Ein sorgfältiges Ausfüllen der Vergabeunterlagen auch mit allgemeinen Angaben wie die Kontaktdaten, kann einen
Ausschluss verhindern.
VK Nordbayern, Beschluss 16.02.2022 (Az.: RMF-SG21-3194-7-1)
Nach § 97 Abs. 4 GWB hat der öffentliche Auftraggeber eine Interessenabwägung zu der Frage vorzunehmen, inwieweit auftragsbezogene wirtschaftliche
und technische Gründe es erfordern, von einer Bildung von Fach- oder Teillosen abzusehen.
Sachverhalt:
In einem EU-weiten Verfahren ausgeschrieben war der "Versand von Schreiben aus Fachverfahren". Die Vergabe ist in vier Mengenlose aufgeteilt -
ein Los je Fachverfahren. Jedes Los soll jeweils „Druck, Kuvertierung und Versand der Briefe“ umfassen. Bieter B rügt die unterlassene Aufteilung
der Leistungen in Fachlose "Druck/Kuvertierung" und "Versand/Zustellung" sowie die fehlende Unterteilung in Gebietslose hinsichtlich bestimmter
Zustellregionen.
Beschluss:
Ohne Erfolg! Zwar sind das Drucken/Kuvertieren und der anschließende Postversand zu trennende Leistungs-bereiche mit eigenen Märkten, die
grundsätzlich eine Ausschreibung in getrennten Losen erfordern. Allerdings sei die vom öffentlichen Auftraggeber vorgesehene zusammengefasste
Vergabe von Druck-, Kuvertier- und Postdienstleistungen in einem Los nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB zulässig. Maßgeblich dafür seien insbesondere die
angeführten finanziellen Mehraufwendungen. Diese entstehen durch zusätzliche Schnittstellen, die erforderlich sind, um die Adressierung zweier
Auftragnehmer bezüglich des „Druck/Kuvertierung“ einerseits und „Versand“ andererseits zu ermöglichen.
Nach der auf Erfahrungswerten beruhenden Schätzung des öffentlichen Auftraggebers sei mit einem Mehraufwand in Bezug auf den Auftragswert zu
rechnen, der knapp 40% betrage. Diese Erwägung sei plausibel, zumal auch im Rahmen des Losaufteilungsgebots die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung
berücksichtig werden dürfe. Ergänzend trete hinzu, dass zusätzliche Schnittstellen zusätzliche, beispielsweise technische, Risiken bedeuten – der
öffentliche Auftraggeber dürfe sich aber grundsätzlich für einen sicheren Weg der Leistungserbringung entscheiden. Die übrigen vorgebrachten
Argumente, wie unklare Verantwortlichkeiten zwischen den Dienstleistern und datenschutzrechtliche Anforderungen, rechtfertigten die Gesamtvergabe
hingegen nicht.
Der öffentliche Auftraggeber habe insgesamt die Entscheidung zur zusammengefassten Vergabe hinreichend dokumentiert und dabei seinen
Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Dabei sei nicht entscheidend, ob sämtliche Erwägungen überzeugen können, sondern ob sich in ausreichender
Tiefe mit den Argumenten für und gegen eine Losaufteilung auseinandergesetzt wurde, von denen jedenfalls im Ergebnis einzelne Gesichtspunkte die
Entscheidung tragen können. Ausführungen zu den Vorteilen der Losbildung für den Mittelstand dürften dabei grundsätzlich abstrakt bleiben.
Praxistipp:
Die Entscheidung macht deutlich, wie relevant es ist, dass bei einem Abweichen vom Grundsatz der Losaufteilung, die tragenden Gründe sowie die
Interessenabwägung im Vergabevermerk umfassend und sorgfältig dokumentiert werden, um einer nachträglichen Überprüfung stand halten zu können.
Dabei müssen nicht alle Erwägungen ausschlaggebend für die Entscheidung sein – eine umfassende und in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit der
Thematik muss aber deutlich werden.
VK Bund, Beschluss vom 10.03.2022 (Az.: VK 1-19/22)
Der Auftraggeber muss seine Leistungsbeschreibung so eindeutig darstellen, dass durchschnittlich fachkundige Bieter diese,
ohne besondere Auslegungsbemühungen, in gleicher Weise verstehen und die Preise kalkulieren können.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war ein Dienstleistungsauftrag zur Lieferung, Herstellung und Ausgabe von Schulmittagessen. Die
Leistungsbeschreibung machte keine genaueren Angaben zu den Leistungspflichten. Beispielsweise enthielt die Leistungsbeschreibung
nur unzureichende Angaben zu den auszugebenden Essensportionen, Art und Umfang von Sonderkostformen oder die einzuhaltenden
Qualitätsstandards.
Bieter B rügte die Leistungsbeschreibung als intransparent. Die Vergabestelle half der Rüge nicht ab und hob das Verfahren
auf. Der Bieter beantragte daraufhin bei der zuständige Vergabekammer die Feststellung, dass er durch die unzureichende
Leistungsbeschreibung in seinen Rechten verletzt sei. Dies unter anderem mit Blick darauf, dass er beabsichtige, den
öffentlichen Auftraggeber zivilrechtlich auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, aber auch wegen einer bestehenden
Wiederholungsgefahr in einem in überschaubarer Zukunft absehbaren ähnlichen Vergabeverfahren.
Beschluss:
Nach dem Gebot der „eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung“ muss ein öffentlicher Aufraggeber die
Leistungsbeschreibung so gestalten, dass die Leistung in vollem Umfang beschrieben wird. Alle Bieter sollen in gleicher Weise
verstehen, welche Leistung beschafft werden soll. Bietern sollen ohne Mehraufwand alle Informationen vorliegen, um ihr Angebot
kalkulieren zu können.
Zielsetzung ist die Vergleichbarkeit der eingehenden Angebote. Benannt werden müssen alle preisrelevanten Faktoren, wie etwa
Art und Zweck der Leistung, erforderliche Teilleistungen sowie Bedingungen und Umstände der Leistungserbringung. Die
Leistungsbeschreibung muss dabei so detailliert ausgestalten sein, dass der Bieter sein Angebot vernünftig kalkulieren kann.
Begrenzt wird diese Verpflichtung nur dadurch, dass eine erschöpfende Leistungsbeschreibung unverhältnismäßig, nicht machbar
oder dem öffentlichen Auftraggeber nicht zumutbar wäre. Vorliegend genügt nach Ansicht der Vergabekammer die
Leistungsbeschreibung diesen Anforderungen nicht. Bereits aufgrund der fehlenden Angaben zu den auszugebenden Portionsmengen
sei es den Bietern nicht möglich gewesen, das Auftragsvolumen einzuschätzen und ein angemessenes Angebot abzugeben.
Praxistipp:
Bieter sollten die Leistungsbeschreibung darauf überprüfen, ob die Angaben des AG ausreichen, um ein Angebot ordnungsmäßig
kalkulieren zu können. Unklarheiten muss der Bieter unverzüglich im Rahmen einer Bieterfrage aufklären und gegebenenfalls
auch die Leistungsbeschreibung „als intransparent“ rügen. Dies auch im Interesse eines öffentlichen Auftraggebers, um eine
Vergleichbarkeit der Angebote herzustellen.
VK Berlin, Beschluss vom 09.06.2021, Az. VK B 1-12/20
Es ist unzulässig, konkrete Unterkriterien inhaltlich offenzulassen sowie die Kriterien nicht gegenüber den Bietern zu
benennen.
Sachverhalt:
Öffentlich ausgeschrieben war Unterhaltsreinigung in einem EU-weiten Verfahren. Der öffentliche Auftraggeber (öAG) hatte es
versäumt, den Bietern bezüglich der festgelegten Qualitätskriterien wie Einarbeitungskonzept, Leistungswerte und Hygienekonzept
die festgelegte Gewichtung der Unterkriterien mitzuteilen. Das Verfahren musste zu dem Zeitpunkt vor Aufforderung zur
Angebotsabgabe zurückversetzt werden. Im Laufe des „neuen“ Verfahrens wird die Gewichtung der Unterkriterien einer neu
gebildeten dritten Ebene nicht bekannt gemacht. Bieter B beschwert sich bei der zuständigen Vergabekammer, da er nicht wie
zuvor die Höchstpunktzahl der Qualitätspunkte erhält, aber preislich an erster Stelle liegt.
Beschluss:
Der Nachprüfungsantrag ist erfolgreich. Der öAG hatte nach der Zurückversetzung eine neue dritte Bewertungsebene mit
abweichenden Gewichtungen bei den Unterkriterien eingeführt. Dies wurde den Bietern nicht offengelegt.
Zwar erlaube es die „Schulnotenrechtsprechung“ des BGH, vorab abstrakte Leistungsanforderungen zu setzen. Unwägbarkeiten
muss er aber in der Dokumentation ausgleichen, die erläutert, warum ein Angebot die Anforderungen „gut“ und ein
vergleichbares Angebot die Anforderungen nur „befriedigend“ erfüllt. Die Begründung muss plausibel durch Nachprüfungsinstanzen
vergleichend ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters nachvollziehbar sein. Das setzt eine transparente
Bekanntgabe aller Bewertungskriterien voraus, woran es hier bei der dritten Bewertungsebene fehlt.
Praxistipp:
Für die beteiligten Bieter muss von Anfang an (Bekanntmachung, Vergabeunterlagen) deutlich erkennbar sein, nach welchen
Kriterien der öAG die Angebote auswertet und eine Wertungsmatrix anwendet. Nachvollziehbar muss sein, wie sich die
Höchstpunktzahl bezogen auf jedes Kriterium erreichen lässt.
VK Lüneburg, Beschluss vom 15.10.2021, Az.: VgK 36/2021
Nicht nur bei Vergabeverfahren EU-weit ist ein Bieter gehalten, erkannte oder erkennbare Vergaberechtsverstöße ohne schuldhaftes Zögern zu rügen.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren Straßenbauleistungen in einem nationalen Verfahren. Bieter B wird am 03.12.2019 zu einem "Aufklärungsgespräch zu verschiedenen
Einheitspreisen der LV-Positionen" eingeladen. Im Rahmen des Aufklärungsgesprächs moniert der öffentliche Auftraggeber eine unzulässige
Mischkalkulation.
Mit Telefax vom 05.12.2019 wird das Angebot des B ausgeschlossen. Dieser rügt erfolglos seinen Ausschluss mit Schreiben vom 12.12.2019. B beantragt
vor dem LG Zweibrücken den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, dem öffentlichen Auftraggeber zu untersagen, den Zuschlag an den
Zweitplatzierten zu erteilen.
Beschluss:
Im Ergebnis ohne Erfolg: Nachdem das Gericht die einstweilige Verfügung zunächst per Beschluss erlässt, hebt es diese im Widerspruchsverfahren auf.
Die dagegen gerichtete Berufung des B bleibt erfolglos. B habe die von ihm behaupteten Vergabefehler nicht rechtzeitig gerügt, sein Antrag somit
unzulässig.
Spätestens im Rahmen des Aufklärungsgesprächs am 03.12.2019 habe B Kenntnis aller maßgeblichen Umstände des Ausschlusses gehabt. Seine Rüge erfolgte
aber erst am 12.12.2019.
Auch bei nationalen Auftragsvergaben seien Bieter gehalten, erkannte oder erkennbare Vergaberechtsverstöße umgehend zu rügen. Durch die Teilnahme
an der Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags entstehe ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit daraus entstehenden wechselseitigen Fürsorge-
und Schutzpflichten.
Praxistipp:
Bei Verfahren im Unterschwellenbereich ist es von Grund auf schwerer für Bieter, an ihr Primärrechtsinteresse zu gelangen, nämlich den Auftrag zu
erhalten. Wenige Bundesländer haben den Rechtschutz bei nationalen Verfahren so ausgebildet, dass der öffentliche Auftraggeber eine sogenannte
Wartepflicht einhalten muss, bevor er einen Zuschlag erteilt.
Davon losgelöst gilt aber für ein erfolgreiches Umsetzen des Bieterschutzes, dass eine mögliche Rechtsverletzung sofort gegenüber dem öffentlichen
Auftraggeber gerügt werden muss. Im dargestellten Fall hätte der Primärrechtsschutz erfolgreich durchgesetzt werden können, hätte der Bieter
unverzüglich erklärt, durch den Ausschluss seines Angebots in seinen Rechten verletzt zu sein.
OLG Zweibrücken, Beschl. vom 11.10.2021 (Az.: 1U 93/20)
Unterstützt ein Büro bei der Findung und Festlegung der Ziele für einen Folgeauftrag, ist dies kein reiner Vorauftrag, sondern eine Vorbereitung
der Folgeausschreibung, die dadurch Wissensvorsprung beinhaltet.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war in einem EU-weiten Offenen Verfahren die Moderation und Begleitung eines Strategiezielprozesses. Bieter A gibt ein Angebot ab,
welches vom öffentlichen Auftraggeber mit der Begründung abgelehnt wird, es sei qualitativ nachrangig gewertet worden. A gehe nicht präzise genug
auf die Leistungsbeschreibung ein und dargelegte Konzepte berücksichtigten nicht hinreichend die Organisationsstruktur des Auftraggebers.
A rügt die qualitative Abwertung seiner Konzepte und die Bewertung seines Beraterteams und strengt ein Verfahren vor der zuständigen Vergabekammer
an. Nach Akteneinsicht trägt A vor, er sei aufgrund eines wettbewerbsverzerrenden Informationsvorsprungs des Bieters B in seinen Rechten verletzt.
B habe konkrete Kenntnisse über Details eines Vorprojekts, welches zum Kern der gegenständlichen Ausschreibung gemacht worden sei. Dadurch bekannte
Informationen habe B bei der Erstellung seiner einzureichenden Konzepte zu seinem Vorteil nutzen können.
Der öffentliche Auftraggeber macht dagegen geltend, dass B in keiner Weise an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens beteiligt gewesen sei. Eine
bloße Vorbeauftragung begründe gerade keine Projektantenstellung.
Beschluss:
Der Nachprüfungsantrag des A ist begründet. Der wettbewerbsverzerrende Wissensvorsprung des B hätte gegenüber den anderen Bietern ausgeglichen
werden müssen. B war zwar bei rein formaler Betrachtung nicht in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens eingebunden. Dennoch liegt eine relevante
Vorbefasstheit vor.
Zugrunde zu legen ist bei der Betrachtung nicht nur eine formelle, sondern eine funktionale Betrachtungsweise. B hat in einem Auftrag den öffentlichen
Auftraggeber dabei unterstützt und begleitet, Ziele, deren Konkretisierung und Umsetzung mit dem streitgegenständlichen Auftrag erfolgen sollen, zu
finden und festzulegen.
Es handelt sich beim ersten Auftrag somit nicht um einen vom streitgegenständlichen Auftrag losgelösten Vorauftrag, sondern bei einer materiellen
Betrachtung um eine Vorbereitung des vorliegenden Auftrags. Die Kenntnis der Ziele stellt einen relevanten Wettbewerbsvorteil dar und ist geeignet,
den Wettbewerb zu verzerren.
Praxistipp:
Im Regelfall wickelt der Vorauftragnehmer nur ab und ist gerade nicht in die Vorbereitung der Folgeausschreibung eingebunden. Sein Wissens- und
Wettbewerbsvorsprung ist aufgrund seiner abstrakten Erfahrungen systemimmanent und begründet grundsätzlich kein ausgleichspflichtiges Sonderwissen.
Dass alle Bieter denselben Kenntnisstand haben müssen, ist bei einem Konzeptwettbewerb besonders bedeutsam, denn dem öffentlichen Auftraggeber
kommt bei der Bewertung der Konzepte im Rahmen von funktionalen Vorgaben ein weiter (subjektiver) Beurteilungsspielraum zu. Umso wichtiger ist es,
dass alle Bieter in gleicher Weise über dieselben relevanten Informationen verfügen.
VK Bund, Beschl. vom 21.09.2021 (Az.: VK 2-87/21)
Abweichen vom Grundsatz der Produktneutralität ist zulässig, wenn nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe tatsächlich vorliegen.
Sachverhalt:
Produktspezifisch ausgeschrieben waren im Rahmen eines Förderprojekts mehrere Tablets nebst Zubehör in zwei Losen. Aufgrund eines früheren
Pilotprojekts waren bereits iPads von der Firma Apple angeschafft worden. Die Vergabestelle begründete dies wegen der gewünschten Einheitlichkeit
der Geräte und wegen der notwendigen Integration in die vorhandene Systemarchitektur.
Hiergegen wandte sich Bieter A, der mit dem Betriebssystem „Android“ ausgestattete Tablets vertreibt. Seine Produkte seien gleichwertig und ließen
sich ohne zu großen Aufwand in die vorhandene IT-Landschaft integrieren und parallel mit den iOS-Geräten betreiben. A legte Beschwerde ein, nachdem
die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag abgelehnt hatte.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Eine produktspezifische Ausschreibung ist rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigbar, wenn der öffentliche Auftraggeber sich
auf nachvollziehbare und tatsächlich bestehende Gründe aus der Sache heraus berufen kann, die willkür- und diskriminierungsfrei die Vorgabe eines
bestimmten Produkts erlauben. Im Hardware- und Softwarebereich kann diese Notwendigkeit insbesondere durch eine Nutzung der bereits vorhandene
IT-Struktur entstehen.
Eine Vermeidung von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsproblemen sei im Interesse der Systemsicherheit ein legitimes Ziel. Die Annahme, dass der
Betrieb von Endgeräten mit unterschiedlichen Betriebssystemen fehleranfälliger sei, überzeugt den Vergabesenat. Auch entstünde ein Mehraufwand für
Schulungen von Lehrkräften und Nutzern.
Praxistipp:
Die produktspezifische Ausschreibung ist ein Ausnahmetatbestand. Die vorgestellte Entscheidung macht deutlich, dass sich eine Begründung aus der
Sache heraus finden lässt. Eine aufwändige Markterkundung im Vorfeld muss nicht unbedingt stattgefunden haben. Nach wie vor ist eine ausführliche
Dokumentation in der Vergabeakte wichtig.
OLG LG Brandenburg, Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: 19 Verg 2/21)
Eine Aussage, dass vergaberechtliche Vorgaben einzuhalten sind, darf Bewerbern nicht negativ ausgelegt werden.
Sachverhalt:
EU-weit ausgeschrieben war eine Rahmenvereinbarung über Unterstützungsleistungen der Vergabestelle bei komplexen Vergabeverfahren unter
Berücksichtigung der Grundlagen von GWB, VgV und UVgO. In der Bekanntmachung wurde deutlich gemacht, dass es nicht um Rechtsberatungsleistungen,
sondern um eine technische Verfahrensbetreuung geht.
Die Vergabestelle verwendet als Zuschlagskriterium die einfache Richtwertmethode (Z = L/P) und führt mit drei Bietern mit der höchsten
Wertungskennzahl Z Bietergespräche. Die Präsentationsgespräche sollen den Ausschlag über das Ranking der drei Besten geben. In den Gesprächen sollen
die Bewerber Ad-hoc-Aufgaben bearbeiten und präsentieren. Gewertet wird die soziale Kompetenz anhand der Kriterien Rhetorik, Einfühlungsvermögen und
Team- und Konfliktfähigkeit.
Eine zweiköpfige Jury des öffentlichen Auftraggebers bewertet die Präsentationen. Ein unterlegener Bieter (B) fühlt sich in der Wertung
benachteiligt und wendet sich an die zuständige Vergabekammer.
Beschluss:
Mit Erfolg. Die Ad-hoc-Beantwortung offener Fragen sei geeignet, die Qualifikation des eingesetzten Personals zu bewerten. Allerdings dürfe der
öffentliche Auftraggeber eine Aussage, dass vergaberechtliche Vorgaben einzuhalten sind, nicht negativ bewerten, denn die Exekutive sei an Recht
und Gesetz gebunden, das seien sonst sachfremde Erwägungen. Ist der Inhalt der Ad-hoc-Fragerunde strittig und fehlt es an einer entsprechenden
umfassenden Protokollierung, liegt ein Dokumentationsmangel vor, der die VK nicht in die Lage versetzt, den streitigen Vortrag zu überprüfen.
Praxistipp:
Eine Aussage darüber, dass „vergaberechtliche Vorgaben einzuhalten sind“, darf Bewerbern im Rahmen eines Präsentationstermins nicht negativ
ausgelegt werden. Dies wären sachfremde Erwägungen, die zu einer ungerechten Beurteilung führen würden.
Ad-hoc-Fragestellungen sind ein zulässiges Mittel, um die Qualifikation des eingesetzten Personals anhand der bekannt gemachten Kriterien zu
bewerten. Äußerst relevant ist wie so oft eine ausführliche Dokumentation. Ist nämlich der Inhalt der Fragerunde strittig, liegt ein
Dokumentationsmangel vor, wenn keine umfassende Protokollierung über den genauen Ablauf des Termins stattfindet.
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.08.2021 (Az.: 1 VK 37/21)
Das Versenden einer Vorinformation gemäß § 134 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) aus dem „AI-Vergabemanager“ löst die
verkürzte Wartefrist zur Zuschlagserteilung von zehn Kalendertagen aus
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren in einem EU-weiten Verfahren Montageleistungen im Zusammenhang mit dem Abbruch eines Gebäudes. Das gesamte Vergabeverfahren
wurde über die E-Vergabe-Lösung der AI Administration Intelligence AG (im Folgenden AI) abgewickelt. Dabei wird vom Auftraggeber der
"Vergabemanager" u. a. zum Versenden von Nachrichten im Rahmen der Bieterkommunikation an die Bieter eingesetzt. Bieter verwenden ihrerseits das
lokal installierte "Bietercockpit", welches u. a. über eine "Nachrichten"-Funktion verfügt, die mit einem E-Mail-Postfach vergleichbar ist.
Die Plattform stellt einen kennwortgeschützten Bieterbereich zur Verfügung, welcher einem Benutzer-Account aus dem Online-Banking ähnelt. Der
öffentliche Auftraggeber (öAG) versandte das Informationsschreiben gemäß § 134 GWB am 20.11.2020 über das Vergabemanagementsystem an die
Bieterpostfächer im "Bietercockpit".
Nach Eingang der Nachricht im Bieterpostfach erhielt die spätere Antragstellerin (A), deren Angebot vom Vergabeverfahren ausgeschlossen worden war,
eine automatisch generierte E-Mail an ihre Mailadresse, wonach im Bieterpostfach bzw. auf der Vergabeplattform neu eingestellte Informationen zum
Vergabeverfahren vorhanden seien. A lud das Informationsschreiben am 20.11.2020 herunter. Der Zuschlag wurde, wie im Vorinformationsschreiben
angekündigt, am 1.12.2020 auf das Angebot des angekündigten Bestbieters erteilt.
A rügte den Ausschluss ihres Angebots und strengte am 2.12.2020, einen Tag nach Zuschlagserteilung, ein Nachprüfungsverfahren vor der zuständigen
Vergabekammer an. A machte u. a. geltend, dass die Wartefrist des § 134 Abs. 2 GWB noch nicht abgelaufen sei, da das Informationsschreiben nur in
die Vergabeplattform „eingestellt“ worden und somit ohne Rechtswirkung geblieben sei. Dies genüge für das Ingangsetzen der Wartefrist, nach § 134
GWB nicht.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück.
Das streitige Vergabeverfahren sei mit wirksamer Zuschlagserteilung am 1.12.2021 beendet worden. Der Zuschlag sei nicht gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1
GWB wegen eines Verstoßes gegen die Informations- und Wartepflicht gemäß § 134 Abs. 1 GWB unwirksam. Zunächst sei hier das Textformerfordernis nach
§ 126b BGB gewahrt worden.
Bieter können die Nachricht lesen und dauerhaft speichern – der öAG kann den Inhalt der Nachricht nicht mehr einseitig verändern oder gar löschen.
Ein Zugriff durch den öAG auf den kennwortgeschützten Bieterbereich der Vergabeplattform oder auf das Bieterpostfach des lokal beim Bieter
installierten Bietercockpits, ist nicht möglich.
Für den Fristbeginn kommt es darauf an, wann der öffentliche Auftraggeber sich der Mitteilung an den betroffenen Bieter entäußert hat. Das sei hier
bereits beim Versenden des Informationsschreibens aus dem "Vergabemanager" der Fall. Denn es sei damit zu rechnen, dass bei regelgerechtem Verlauf
die Mitteilung unwiderruflich in den Machtbereich des Empfängers gelange. Das AI-Bietercockpit könne bezüglich des Empfangs von Nachrichten mit dem
Versand bzw. Erhalt einer E-Mail verglichen werden. Auch der passwortgeschützte Bieterbereich der hier verwendeten Vergabeplattform gehöre zum
Machtbereich des Empfängers/Bieters, auf den der Auftraggeber keinen Zugriff habe.
Praxistipp:
Eine weitere Entscheidung einer Vergabekammer, die Sicherheit in der vergaberechtlichen Praxis zu der Frage „Rechtsichere Versendung der
Information nach § 134 GWB“ bringt. Eine zusätzliche Versendung der Mitteilung außerhalb der eVergabeplattform des AI Vergabemanagers ist somit
nicht erforderlich.
VK Sachsen Beschluss vom 28.07.2021, Az.: 1/SVK/043-20
Lassen sich die vom Bieter angebotenen Preise nicht zweifelsfrei ermitteln, weil die Eintragungen im Leistungsverzeichnis nicht denen des
Angebotsblatts entsprechen, fehlen im Angebot die erforderlichen Preisangaben.
Sachverhalt:
Mit dem Angebot einzureichen hatten die Bieter das ausgefüllte Leistungsverzeichnis sowie ein ebenfalls auszufüllendes "Preisblatt", welches Bezug
auf die entsprechenden Ziffern 1 bis 5 des Leistungsverzeichnisses nimmt.
Bieter A reicht das mit Preisangaben ausgefüllte Leistungsverzeichnis mit Datum vom 18.11.2020 ein. Beigefügt ist ferner das Preisblatt mit Datum
vom 20.10.2020. Die dort eingetragenen Preise weichen von den Preisangaben im Leistungsverzeichnis überwiegend ab. A wird wegen fehlender
Preisangaben mit seinem Angebot ausgeschlossen und stellt nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag.
Beschluss:
Ohne Erfolg! Der tatsächlich gemeinte – von A gewollte – Preis kann hier durch Auslegung des Angebotsinhalts nicht eindeutig ermittelt werden.
Zwar ist die Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs erklärtes Ziel der jüngsten Vergaberechtsmodernisierung gewesen. So soll die Anzahl
der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel nicht unnötig reduziert werden (vgl. BGH,
Urteil vom 18.06.2019).
Ein Fall, wie ihn der BGH entschieden hat, ist hier allerdings nicht gegeben: Ein bloßes Missverständnis des Antragstellers über die Geltung
bestimmter Teile seines Angebots (beispielsweise eigener Allgemeiner Geschäftsbedingungen) ist hier nicht feststellbar.
Durch eine reine Auslegung des Angebots ist nicht zweifelsfrei ermittelbar, welche Preise die letztgültigen sein sollen, auf die der Zuschlag
ergehen könnte. Beide Unterlagen enthalten unterschiedliche Datumsangaben und sind als unterschiedliche Dateien im Rahmen des elektronisch geführten
Vergabeverfahrens auf die Plattform hochgeladen worden.
A verweist zwar darauf, dass aufgrund des Datums der Erklärungen das spätere, mit Datum vom 18.11.2020 ausgefüllte Leistungsverzeichnis
letztverbindlich sein soll, nicht aber das Preisblatt vom 20.10.2020. Allerdings ist das von A geltend gemachte bloße technische Versehen des
Hochladens einer alten Version des Angebotsvordrucks nicht so eindeutig, wie er meint.
Ob das später datierende Leistungsverzeichnis die angebotenen Preise abbildet und der Angebotsvordruck somit obsolet ist, kann nicht einfach
aufgrund des Datums angenommen werden. Für die Vergabestelle ist ohne weitere Nachforschung nicht zweifelsfrei erkennbar, welche Preisangaben zum
Angebotsabgabetermin verbindlich angeboten wurden.
Die Vergabestelle kann die Widersprüchlichkeit der Angaben aber nicht durch Nachforschungen bei A selbst beseitigen. Die Grenze der Auslegung
einer Willenserklärung ist erreicht, wenn der Auftraggeber Nachforschungen über das wirklich Gewollte beim Bieter anstellen müsste. Der Bieter
hätte es sonst in der Hand, den angebotenen Preis nachträglich gegen einen anderen auszutauschen.
Praxistipp:
Eine Aufklärung ist hier deshalb nicht möglich, da der betreffende Bieter die Möglichkeit hätte, „nachzuverhandeln“ bzw. sein Angebot zu verbessern.
Dies wäre ein klarer Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot.
VK Bund, Beschluss vom 12.03.2021 Az.: VK 1-20/21
„Ob und wie“ des Einsatzes eines Fachberaters ist in der Vergabeakte zu dokumentieren
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war die Beschaffung von Unterhalts- und Grundreinigungen in einem EU-weiten Verfahren. Der Auftraggeber (AG) lässt sich bei der
Durchführung des Vergabeverfahrens durch einen externen Fachberater unterstützen.
Ein Bieter rügt den Einsatz des Fachberaters: Es bestehe die Gefahr, dass der Fachberater die Wertung eingehender Angebote manipulieren könne, indem
er nach Kenntnisnahme der Inhalte der Angebote festlege, für welche Angebote die Höchstpunktzahl zu empfehlen sei. Es sei zudem mit dem
Transparenzgrundsatz unvereinbar, dass der AG den Einsatz des Fachberaters nicht in der Auftragsbekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen angegeben
habe. Die Unternehmen müssten selbst entscheiden können, ob sie bei einem hinzugezogenen Fachberater ein Angebot abgeben.
Der AG gib an, der Berater habe ihn bei der Erstellung der Vergabeunterlagen sowie bei der Auswertung der Angebote unterstützt. Der Fachberater sei
öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Gebäudereinigerhandwerk und daher grundsätzlich als zuverlässig einzustufen. Er sei
zudem im Rahmen des Beratungsauftrags zur Verschwiegenheit verpflichtet. Alle zuschlagsrelevanten Entscheidungen werden vom AG selbst getroffen.
Der Bieter stellt einen Nachprüfungsantrag.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Die Vergabekammer sieht durch die Einschaltung des Fachberaters keinen Vergabeverstoß. Es obliegt dem Verfahrensermessen des
öffentlichen Auftraggebers, bei der Durchführung eines - zumal komplexen - Vergabeverfahrens bei Bedarf und unter Einhaltung der Grundsätze des §
97 GWB sachverständige Hilfe hinzuzuziehen.
Ausschlaggebend im Hinblick auf die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und Nichtdiskriminierung ist, dass der Auftraggeber das „Ob und
Wie“ des Einsatzes eines Fachberaters nachvollziehbar dokumentiert und alle relevanten Entscheidungen im Vergabeverfahren selbst trifft. Diese dürfen
in der Sache nicht einem Dritten überlassen werden und sind entsprechend zu dokumentieren.
Der behauptete Transparenzverstoß lag nicht vor, da der AG den Einsatz des Fachberaters von sich aus mit seiner Antragserwiderung im
Nachprüfungsverfahren gegenüber A offengelegt sowie erläutert hat, dass dieser den AG nicht nur bei der Erstellung der Vergabeunterlagen, sondern
auch bei der Auswertung der Angebote unterstütze. Bereits damit hat der AG den Maßgaben einer transparenten Vergabeverfahrensführung genügt. Die
Vergabekammer hat zudem keine Zweifel, dass der AG seine Zusicherung einhalten wird und die relevanten Wertungsentscheidungen selbst trifft bzw.
treffen wird.
Praxistipp:
Keine Änderung der bisherigen Rechtslage. Die Entscheidung der Vergabekammer Bund macht noch einmal deutlich, wie wichtig die ausführliche und
lückenlose Dokumentation in einer Vergabeakte ist.
VK Bund, Beschluss vom 08.04.2021 (Az.: VK 2-23/21)
Der Umstand, dass der Auftraggeber in mehreren Bewerberrundschreiben formuliert, der Bewerber habe "seine" Leistungsfähigkeit nachzuweisen, ist kein
Hinweis auf einen Ausschluss der Eignungsleihe.
Sachverhalt:
Durchgeführt wurde ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zur Vergabe der telemedizinischen Versorgung nach SGB V. Zum Nachweis der
Eignung hatten Bewerber u. a. Referenzprojekte anzugeben. Dazu hieß es in der EU-Bekanntmachung: "Der Bewerber weist detailliert seine Eignung
bezüglich der Durchführung vergleichbarer Referenzprojekte für gesetzlich Krankenversicherte nach."
Bieter B reichte nach erfolgreichem Teilnahmeantrag ein Angebot ein. Der Zuschlag sollte jedoch an Mitbewerber M erteilt werden. B macht geltend,
der Bestbieter könne die Referenz nicht selbst vorweisen, eine Eignungsleihe sei in der Ausschreibung nicht vorgesehen und stellt einen
Nachprüfungsantrag.
Beschluss:
Ohne Erfolg! Der Antrag ist unbegründet. Nach § 47 VgV kann sich ein Bieter zum Nachweis seiner Leistungsfähigkeit grundsätzlich auf die
Kapazitäten anderer Unternehmen berufen, wenn er nachweist, dass ihm die erforderlichen Mittel tatsächlich zur Verfügung stehen.
Ob ein Ausschluss der Eignungsleihe - wie ihn der AG zunächst erwogen hat - in vergaberechtskonformer Weise nach § 69 Abs. 4 Satz 3 SGB V möglich
wäre, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Ein ausdrückliches Verbot der Eignungsleihe hat der AG weder in der Bekanntmachung noch in den
Vergabeunterlagen ausgesprochen.
Der Umstand, dass der AG formulierte, der Bewerber habe "seine" Leistungsfähigkeit nachzuweisen, ist kein Hinweis auf einen Ausschluss der
Eignungsleihe. Die Eignungsleihe bewirkt gerade, dass sich ein Bieter auf fremde Fähigkeiten berufen darf, um die eigene Eignung, also "seine"
Leistungsfähigkeit, zu belegen. Die Vergabeunterlagen enthalten sogar an zahlreichen Stellen Hinweise darauf, dass die Eignungsleihe zugelassen ist.
M hat auch seine Eignung durch Vorlage der Referenz und der Verpflichtungserklärung des Eignungsverleihers nachgewiesen. Dieser verfügt über eine
Referenz, die den Anforderungen der Ausschreibung genügt. Er hat zudem mit seiner Erklärung die verbindliche Zusage gegeben, dem Bieter die für die
Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Dabei ist unerheblich, dass im Rahmen des Referenzauftrags
andere Personen tätig waren.
Im Übrigen ist jede Ausschreibung isoliert zu betrachten. Es kommt daher nicht darauf an, ob der AG in früheren Vergabeverfahren abweichende
Vorgaben gemacht hat.
Praxistipp:
Die Entscheidung der Vergabekammer macht den Unterschied zwischen allgemeiner Eignung und Eignungsleihe deutlich. Grundsätzlich ist es möglich, dass
Auftraggeber eine Eignungsleihe ausschließen, wenn besondere oder außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Selbstausführung durch den
Auftragnehmer erfordern. Diese können sich auch aus der Eigenart oder den Zielen des zu vergebenden Auftrags ergeben. Dann muss der Auftraggeber
den Ausschluss aber in den Vergabeunterlagen entsprechend deutlich machen.
VK Bund, Beschluss vom 29.04.2021 (Az.: VK 2-5/21)
Besonders hohe Anforderungen an die Eignung müssen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt werden. Ein Begründungserfordernis besteht besonders dann,
wenn der potenzielle Bieterkreis eng ist und hohe Eignungsschwellen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben können
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren im Rahmen eines EU-weiten Verfahrens der Einkauf und die Implementierung einer neuen Software im Wege eines
Verhandlungsverfahrens mit vorherigem Teilnahmewettbewerb. Zum Nachweis der Eignung im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit waren u.
a. die Vorlage von Bilanzen, Bonitätsnachweisen und die Darstellung der Umsatzentwicklung gefordert.
Die technische und berufliche Leistungsfähigkeit war mit zwei Referenzen und der beruflichen Befähigung von zwei Projektleitern und zehn weiteren
Mitarbeitern nachzuweisen. Diese Kriterien wurden jeweils mit Punkten bewertet, die je nach Zielerfüllungsgrad (niedrig/mittel/hoch) vergeben
wurden. Insgesamt mussten zum Nachweis der Eignung mindestens 69 von 100 Punkten erreicht werden. Dies gelang Bewerber A mit seinem Teilnahmeantrag
nicht. Er wurde ausgeschlossen.
Er rügte daraufhin u. a. die Eignungsanforderungen als vergaberechtswidrig, da diese zu hoch angesetzt gewesen seien. Der Nachprüfungsantrag wurde
von der Vergabekammer ohne Entscheidung in der Sache als unzulässig zurückgewiesen, da A seine Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB
nicht erfüllt habe. Der gerügte Verstoß sei in den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen. Spätestens mit Anfertigung des Teilnahmeantrags, so die
Vergabekammer, hätte A die Verstöße erkennen und rügen müssen.
Beschluss:
Das OLG Frankfurt entschied auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin dagegen, dass der Nachprü-fungsantrag zulässig und in der Sache
auch begründet sei. Es hielt die Eignungskriterien für nicht angemessen und unverhältnismäßig (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB). Im vorliegenden Fall war
die Bewertungsmethode so ausge-staltet, dass die Eignung nur nachgewiesen werden konnte, wenn die Kriterien im Schnitt besser als mit „MZG“, dem
mittleren Zielerfüllungsgrad (50), bewertet wurden.
Bieter mit guter Bonität und stabilen Umsätzen konnten jedoch nur den Grad „MZG“ erreichen und waren somit im Schnitt ungeeignet. Eine bessere
Bewertung diesbezüglich war Unternehmen mit steigenden Umsätzen vorbehalten.
Für das OLG Frankfurt war es nicht nachvollziehbar, warum ein Bieter mit gleichbleibender Umsatzentwicklung zur Durchführung eines langfristigen
Auftrags nicht in der Lage sein sollte. Beim Nachweis der beruflichen Leistungsfähigkeit wurden bei Einhaltung der Mindestanforderungen 0 Punkte
vergeben. Für die beste Bewertung wäre ein „deutliches Übertreffen“ der Mindestanforderungen erforderlich gewesen; ein Kriterium, welches laut OLG
intransparent blieb.
Das Verfahren wurde zurückversetzt - der Auftraggeber muss seine Eignungskriterien neu aufstellen.
Praxistipp:
Die Anforderungen müssen zwar tatsächlich einen tragfähigen Rückschluss auf die Fachkunde und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens bieten. Sie
müssen jedoch auch im Verhältnis zum Auftragsgegenstand angemessen sein. Die Auswirkungen auf den Wettbewerb sind dabei in die
Angemessenheitsprüfung einzubeziehen. Entfalten sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung, weil nur ein einziges oder sehr wenige Unternehmen die
Anforderungen erfüllen können, muss dies durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sein.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. März 2021 – 11 Verg 18/20
Für die VK Saarland reicht die Verortung der zu übermittelnden Bieterinformation auf der Vergabeplattform, sofern damit eine elektronisch generierte
E-Mail-Nachricht an den Bieter versendet wird, welche beinhaltet, dass in seinem Postfach eine neue Nachricht vom Auftraggeber hinterlegt ist.
Sachverhalt:
Das Saarland (Rechtsnachfolger jetzt Autobahn GmbH des Bundes) schrieb in einem europaweiten offenen Verfahren Reinigungsleistungen betreffend
Autobahnen im Saarland aus. Das gesamte Vergabeverfahren wurde über die elektronische Vergabeplattform www.dtvp.de abgewickelt. Am 22.10.2020 wurde
die Vorinformation gem. § 134 GWB dem Bieter über eine gesicherte Kommunikationsfunktion des Vergabeportals übermittelt, die einem ausschließlich
dem Bieter zugänglichen E-Mail-Postfach ähnelt. Parallel wurde das Schreiben auch per Post übersandt und ging dem Bieter am 26.10.2020 zu.
Im Vorinformationsschreiben wurde angekündigt, dass der Zuschlag ab dem 03.11.2020 (10 Kalendertage nach der Absendung der Vorinformation) erteilt
werde - was dann auch tatsächlich am Morgen des 03.11. passierte. In Unkenntnis der ein wenig früher erfolgten Zuschlagserteilung legte der Bieter
- nach erfolgloser Rüge - ebenfalls noch am 03.11.2020 - den Nachprüfungsantrag ein. Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag als unzulässig
zurück.
Urteil:
Zu Recht! Grund hierfür ist, dass auch die Übermittlung mittels des Vergabeportals eine Form der elektronischen Übermittlung ist. Der Begriff der
"elektronischen Übermittlung" ist technikoffen. Neben dem Fax und der E-Mail wird auch eine mittels des Vergabeportals übermittelte Vorinformation
umfasst, wenn diese dem Bieter über eine gesicherte Kommunikationsfunktion übermittelt wird, die einem, ausschließlich dem Bieter zugänglichen
E-Mail-Postfach ähnelt. Die kurze Wartefrist von 10 Kalendertagen wird bereits durch die Absendung der Vorinformation (bzw. das Einstellen im
Vergabeportal) durch den Auftraggeber in Gang gesetzt; auf den Zugang kommt es nicht an.
Die kompromisslose Auffassung der VK Südbayern geht hingegen davon aus, dass ein Versenden der Informationsinhalte in den sog. „Machtbereich“ des
Bieters erst dann erfüllt ist, wenn sie in seinem Mailpostfach, Fax oder Briefkasten landet. Ohne dies wurde auch nicht die Stillhaltfrist in Gang
gesetzt, deren Ablauf notwenige Voraussetzung für die rechtswirksame Zuschlagserteilung an den Bestbieter ist.
Für die VK Saarland reicht die Verortung der zu übermittelnden Bieterinformation auf der Vergabeplattform, sofern damit eine elektronisch
generierte E-Mail-Nachricht an den Bieter versendet wird, welche beinhaltet, dass in seinem Postfach eine neue Nachricht vom Auftraggeber hinterlegt
ist. Dies entspricht auch der Softwarestruktur der gängigsten, in Deutschland genutzten elektronischen Vergabepattformen.
Wie ist dieser Paradigmenwechsel zu erklären? Die VK Saarland bewertet das Einstellen der Information im persönlichen Nutzerkonto bei gleichzeitiger
Benachrichtigung per Mail als verfahrensfehlerfreies, elektronisches Versenden im Sinne des § 134 GWB. Es erfüllt die Voraussetzung des „Absendens“
nach § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB.
Das Tatbestandsmerkmal des Absendens ist im Kontext der digitalen Abwicklung des Vergabeverfahrens zu verstehen. Die Rechtsprechung definiert für
das Vergaberecht das Versenden als ein Entäußern aus dem eigenen „Machtbereich“ derart, dass bei regelgerechtem Verlauf mit dem ordnungsgemäßen
Zugang beim Empfänger zu rechnen ist.
Für den Beginn der zu beachtenden Frist kommt es nur darauf an, wann der öffentliche Auftraggeber sich der schriftlichen Mitteilungen an die
betroffenen Bieter entäußert, wann er diese Schriftstücke also aus seinem Herrschaftsbereich so herausgegeben hat, dass sie bei bestimmungsgemäßem
weiterem Verlauf der Dinge die Bieter erreichen (BGH, Beschluss vom 9. 2. 2004 - X ZB 44/03). Das Medium, mittels dessen die Information nach § 134
GWB auch elektronisch übermittelt werden kann, benennt der Gesetzgeber nicht. Vielmehr ist die Norm in ihrem Normkontext nach dem Wortlaut, dem
Willen des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck technikoffen.
Nach dem Gesetzestext kommt es für die Frage der formwirksamen Erstellung und Abgabe der Erklärung in Textform nur darauf an, dass die Nachrichten,
die über den Kommunikationsbereich der Vergabeplattform an den Bieter gelangen, als lesbare Erklärungen, die außerdem mit Zeitstempel versehen sind,
druckfähig oder elektronisch speicherbar sind. Diese Aspekte der Textform sind mit der Nachrichtenübermittlung in der Ausgestaltung der
Vergabeplattformen gewahrt. Die eingestellten Informationen bleiben mindestens für die Dauer des Vergabeverfahrens im persönlichen
Kommunikationsbereich des Bieters erhalten und abrufbar.
Ein Versenden in elektronischer Form bedeutet nicht das physische Versenden, sondern bedeutet das elektronische „auf den Weg bringen“ der
Information in Textform, d. h. das Verlassen des Machtbereichs des Sendenden derart, dass die Information durch diesen nicht mehr einseitig
verändert oder gelöscht werden kann. Dabei muss zu erwarten sein, dass bei regelgerechtem Verlauf die Information in den Machtbereich des Empfängers
gelangt. (siehe BGHZ a. a. O.) In diesem Sinne muss es dem Empfänger möglich sein, jederzeit und ohne Zu-tun des Absendenden auf die im Postfach
eingelegte Information zuzugreifen. Dies ist jedenfalls auch dann der Fall, wenn die maßgebliche Information in einem nur persönlich zugänglichen
Raum des Empfängers („Online-Konto“) eingestellt wird.
Für den Beginn des Fristenlaufs maßgeblich ist nur die Information nach § 134 Abs. 1 GWB selbst. Auf die Zufälligkeit, ob der Empfänger die für
ihn bestimmten Nachrichten auch abruft und in welcher Form er sie speichert, kommt es für die Bewertung des Kriteriums „Versenden“ nicht an. Nach
Auffassung der VK Saarland kommt es auch nicht darauf an, dass der Inhalt der Nachricht bereits vorab aus der Gestaltung der Benachrichtigung –
sei es im Betreff oder sonst – erkennbar ist. Im Unterschied zum bloßen Bereitstellen einer Information auf einer Plattform gelangt das Schreiben
nach § 134 GWB durch das Einstellen in das persönliche Nutzerkonto des Empfängers allein in dessen Machtbereich, auf den nur er allein mittels
Zugangsdaten, vergleichbar einem Schlüssel, Zugriff hat.
Praxistipp:
Seit der Entscheidung der Vergabekammer Südbayern 2019 (B. v. 29.03.2019, Z 3 – 3 – 3194 – 1 – 07 – 03 / 19) sahen sich öffentliche Auftraggeber
verpflichtet, die Bieterinformationen nach § 134 GWB auch außerhalb der elektronischen Vergabeplattform per Fax oder E-Mail zu versenden. Die VK
Saarland dagegen hält die Versendung an das auf den Vergabeplattformen für Bieter eingerichtete Postfach für völlig ausreichend, wenn
1. die Nachricht den Machtbereich des Sendenden derart verlassen hat, dass sie von diesem nicht mehr gelöscht, verändert oder zurückgerufen werden
kann,
2. die Nachricht in Textform verfasst, mithin speicherbar und für eine angemessene Dauer verfügbar ist, und
3. in einem nur dem Empfänger zuzurechnenden sicheren Bereich vergleichbar einem Postfach (Benutzerkonto), über das die gesamte
Verfahrenskommunikation abgewickelt wird, eingelegt wird.
Es bleibt spannend, ob sich die Vergabekammern vermehrt dieser technikfreundlichen Auffassung anschließen werden.
VK Saarland, Beschluss vom 22.03.2021 Az.: 1VK 06/2020
Die bloße Abfrage des Umsatzes der letzten drei Geschäftsjahre im Formblatt VHB 124 kann seitens der Bieter auch mit einer Eintragung von 0,0 EUR
ausgefüllt werden, ohne das mit ihr eine Festlegung einer Mindestanforderung für die Geschäftstätigkeit verbunden ist.
Sachverhalt:
Zu klären war die Frage, ob die im Formblatt VHB 124 (Eigenerklärung zur Eignung) von nicht präqualifizierten Bietern verlangte Abfrage des
Umsatzes der letzten drei Geschäftsjahre das Vorliegens eines Geschäftsbetriebs in diesen Jahren impliziert und damit den Ausschluss von Newcomern
rechtfertigt.
Beschluss:
Das OLG Dresden verneint dies. Neben den bereits von der VK Sachsen (Vorinstanz) gebrachten Argumenten geht das OLG dabei noch auf folgenden Aspekt
ein: Es sei zwar richtig, dass der antragstellende Bieter mit seiner Unterschrift (= „Papierverfahren“) unter das Formblatt VHB 124 auch die
Erklärung abgegeben hat, dass er in den letzten fünf Kalenderjahren vergleichbare Leistungen ausgeführt hat und sich verpflichtet, für den Fall,
dass sein Angebot in die engere Wahl kommt, drei Referenznachweise vorzulegen.
Aus diesen Erklärungen folge aber gerade nicht, dass der Bieter eine mindestens dreijährige einschlägige Geschäftstätigkeit vorzuweisen hat, weil
er mit den zusätzlichen Erklärungen nur bekundet, dass er überhaupt Leistungen ausgeführt hat, welche mit denen in der Auftragsbekanntmachung
definierten vergleichbar sind. Dagegen erkläre der Bieter nicht, in jedem der letzten fünf Kalenderjahre solche Leistungen ausgeführt zu haben.
Aus der Verpflichtung zur Vorlage von mindestens drei Referenznachweisen würde man zwar entnehmen können, dass eine Befassung des Bieters mit
einer solchen Anzahl von Arbeiten erfolgt sein muss, was aber wiederum nicht bedeute, dass die betreffenden Tätigkeiten in allen der letzten drei
(oder fünf) abgeschlossenen Geschäftsjahre entfaltet worden sind. Vielmehr sollen lediglich Referenzen aus noch weiter zurückliegenden Jahren nicht
vorgelegt werden können.
Praxistipp:
Wichtig für Newcomer in ihrem jeweiligen Geschäftsbereich: Die allgemeine Abfrage hat keinen eigenen Erklärungswert bzgl. der Dauer der
einschlägigen Geschäftstätigkeit. Die Angabe von „0 Euro“ im Formblatt VHB 124 rechtfertigt keinen Ausschluss eines Bieters (Newcomers), wenn die
Dauer der einschlägigen Geschäftstätigkeit nicht explizit in der Auftragsbekanntmachung als Eignungskriterium festgelegt worden ist. Das Formblatt
VHB 124 enthält nicht von sich aus, aufgrund der Tatsache, dass es eine bestimmte Anzahl an Feldern enthält, bereits die Forderung nach dem
Eignungskriterium einer Geschäftstätigkeit für eine bestimmte Dauer auf dem einschlägigen Gebiet.
OLG Dresden, Beschluss vom 05.02.2021 (Az.: Verg 4/20)
Die geforderte „im Allgemeininteresse liegende Aufgabe“ kann auch der Fußballclub e.V. sein.
Sachverhalt:
Streitbefangen ist die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber des italienischen Fußballverbands (FIGC), eines privatrechtlichen Vereins.
Urteil: Der EuGH hält fest, dass privatrechtliche Sportverbände öffentliche Auftraggeber sein können. Der EuGH prüft zunächst das Vorliegen einer im
Allgemeininteresse liegenden Aufgabe. Entsprechend des Anhangs zur früheren Vergaberichtlinie bejaht der EuGH, dass es sich beim Sport um eine im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe handelt. Ob die Tätigkeiten wie die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele auch nichtgewerblicher Art sind,
überlässt der EuGH der Prüfung der nationalen Gerichte.
Dass der FIGC neben der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe weitere nicht im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnimmt, steht nach
überkommener Rechtsprechung der Auftraggeber-Eigenschaft jedenfalls nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn diese anderen Tätigkeiten einen
Großteil seiner gesamten Tätigkeiten bilden und eigenfinanziert sind.
Selbst wenn die im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten nur einen relativ geringen Anteil haben, steht dies der Anwendung des Vergaberechts
nicht entgegen. Weiter steht auch die privatrechtliche Konstituierung des FIGC der Auftraggeber-Eigenschaft nicht entgegen - anders als die
Richtlinie ("Einrichtungen des öffentlichen Rechts") nennt § 99 Nr. 2 GWB ausdrücklich auch juristische Personen des privaten Rechts. Insoweit
kommt es allein auf eine funktionelle und nicht eine an der Rechtsform orientierte formale Betrachtung an.
Praxistipp:
Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 a Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur
Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass bei einer Einrichtung, die mit im nationalen Recht abschließend festgelegten
öffentlichen Aufgaben betraut ist, auch dann angenommen werden kann, dass sie im Sinne dieser Bestimmung zu dem besonderen Zweck gegründet wurde,
im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn sie nicht in der Form einer öffentlichen Verwaltungsstelle, sondern
in der Form eines privatrechtlichen Vereins gegründet wurde und bestimmte ihrer Tätigkeiten, hinsichtlich derer sie über
Eigenfinanzierungskapazität verfügt, keinen öffentlichen Charakter haben.
Der EuGH bekräftigt seine bisherige Rechtsprechung zu den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben. Ausdrücklich führt er nunmehr auch den Sport
als solche an. Häufig wird es bei Sportverbänden jedoch am Kriterium der besonderen Staatsnähe fehlen. Bei geförderten Baumaßnahmen im Sportbereich
bleibt aber stets die Anwendbarkeit des Vergaberechts nach § 99 Nr. 4 GWB zu bedenken, der in der Praxis häufig übersehen wird.
EuGH, Urteil vom 03.02.2021 (Az. Rs. C-155/19)
Bieterfrage lässt falsche Vorstellung erkennen: Öffentlicher Auftraggeber muss "deutliche" Antwort geben
Sachverhalt:
Die geforderte „im Allgemeininteresse liegende Aufgabe“ kann auch der Fußballclub e.V. sein.
Ausgeschrieben war in einem offenen Verfahren ein Dienstleistungsauftrag. Beim Preiskriterium wurde u. a. nach dem Stundenverrechnungssatz für
einen Objektleiter gefragt. Bieter A stellt dazu die Frage, ob "hier der Tariflohn oder der Tariflohn inklusive der gesetzlichen und notwendigen
Lohnnebenkosten einzutragen" sei. Die Antwort lautete: "der Tariflohn inklusive der gesetzlichen und notwendigen Lohnnebenkosten".
Die Antwort teilte der öAG den übrigen Bietern nicht mit, weil es sich seiner Ansicht nach um eine Fragestellung rein subjektiver Natur handelte
und es damit keiner Auskunft gegenüber anderen Bietern bedurfte. Das Angebot des Bieters A wurde mangels Wirtschaftlichkeit ausgeschlossen.
Bieter A rügte daraufhin mit der Begründung, dass der Erstbieter zwar Lohnnebenkosten, allerdings keinen Tariflohn einkalkuliert habe. Der öAG ist der
Ansicht, dass Bieter A hätte erkennen können, dass die Bezahlung des Objektleiters nicht tariflohngebunden sei und er bei der Preiskalkulation
von seinem Wahlrecht nach Zahlung eines Tariflohns Gebrauch hätte machen können. Dagegen wehrt sich A und beanstandet die Intransparenz der
Zuschlagskriterien, insbesondere seine Benachteiligung durch den fehlleitenden Hinweis des öAG.
Beschluss:
Mit Erfolg. Durch den missverständlichen Hinweis des öAG, ist A gegenüber den anderen Bietern benachteiligt worden. Die unzutreffende Vorstellung
des Bieters A wurde durch die Antwort nur an ihn verstärkt. Der öAG gab an, mit seiner Antwort lediglich auf die Frage der
Berücksichtigungspflichtigkeit der Lohnnebenkosten abzustellen.
Er hätte jedoch ohne weiteres in der Antwort auf die Pflicht zur Eintragung des "Lohns inklusive der Lohnnebenkosten" abstellen können. Bestand
damit für die Beantwortung der Frage nicht die Notwendigkeit, auf den Tariflohn abzustellen, war die Verwendung des Begriffs "Tariflohn" in der
Antwort für den verständigen Bieter dahin zu verstehen, dass auf den Tariflohn (inklusive Lohnnebenkosten) abzustellen ist.
Die Bezugnahme des Bieters in seiner Frage auf den Tariflohn kann nicht dahin verstanden werden, dass er im Rahmen der Kalkulationsfreiheit
entschieden hätte, der Kalkulation des Lohns des Objektleiters freiwillig einen Tariflohn zugrunde zu legen: Nach der Frage kam für den Bieter
ausschließlich die Eintragung des Tariflohns mit Nebenleistungen oder des Tariflohns ohne Nebenleistung in Betracht. Es bestand damit aus Sicht des
öAG kein Anlass für die Annahme, dass Bieter A bereits zu diesem Zeitpunkt und in diesem Zusammenhang von einer - unterstellten -
Kalkulationsfreiheit Gebrauch gemacht hätte.
Praxistipp:
Der öAG unterlag bereits der Fehleinschätzung, die Bieterfrage sei rein subjektiv und nicht an alle Beteiligten des Verfahrens zu richten, selbst
wenn man davon hätte ausgehen können, dass sich der Bieter hinsichtlich seiner Kalkulationsfreiheit entschieden hätte. Die Entscheidung macht
deutlich, dass auch der erfahrene Bieter geschützt wird. Durch das Bestärken der Fehlvorstellung muss die Erkennbarkeitsschwelle mit hochgesetzt
werden.
Eine Antwort aufgrund einer Bieterfrage muss so ausgestaltet sein, dass eine erkannte Fehlvorstellung vor Angebotsabgabe nicht weiter verstärkt
wird. Hinweise an Bieter sind zumindest so zu formulieren, dass Bieter daraus eventuelle Fehlvorstellungen erkennen können.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.11.2020 (Az.: 11 Verg 12/20)
Auswirkungen der Corona-Pandemie sind durchaus geeignet, eine Aufhebungsentscheidung zu legitimieren, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich
Änderungen am Beschaffungsbedarf ergeben
Sachverhalt:
Der öAG schreibt Instandsetzungsarbeiten an einem Marineversorgungsschiff europaweit aus. Vor Zuschlagserteilung hebt der öAG die Ausschreibung
auf. Begründet wird die Aufhebung mit „Vorliegen von nationalem Sicherheitsinteresse zum Erhalt der Instandhaltungskapazitäten“. Die
SARS-CoV-2-Pandemie habe die nationalen Werften unter existenzgefährdenden wirtschaftlichen Druck gesetzt, sodass die gleichen Leistungen jetzt
nach der Ausnahmevorschrift des § 107 Abs. 2 Nr. GWB national ausgeschrieben werden sollen. Dagegen wehrt sich Bieter A.
Beschluss:
Mit Erfolg. Die Vergabekammer entscheidet dahingehend, dass das Verfahren fortgeführt werden muss (= Aufhebung der Aufhebung). Für eine
Aufhebung ist erforderlich, dass sich der Beschaffungsbedarf entweder geändert hat, die Vergabeunterlagen diesem geänderten Bedarf mithin
anzupassen sind oder aber dass der Beschaffungsbedarf gänzlich entfallen ist.
Auswirkungen der Corona-Pandemie sind durchaus geeignet, eine Aufhebungsentscheidung zu legitimieren, aber eben unter der Voraussetzung, dass sich
Änderungen am Beschaffungsbedarf ergeben. Vorliegend sollen jedoch die Leistungen nach wie vor und inhaltlich unverändert ausgeschrieben werden.
Auch der subjektive Beschaffungswille des öAG besteht unverändert fort.
Das Argument des öAG, die deutschen Werften stützen zu wollen, ist reiner Nebenzweck. Grundsätzlich kann ein öAG nicht gezwungen werden, ein
einmal begonnenes Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden. Eine Aufhebung eines Verfahrens muss rechtmäßig erfolgen.
Diese Grundsätze können jedoch nur dann greifen, wenn die Beschaffungsabsicht nicht oder jedenfalls nicht unverändert fortbesteht; nur in diesem
Fall würde der Auftraggeber zu einem Zuschlag gezwungen, den er gar nicht mehr oder jedenfalls inhaltlich nicht mehr in dieser Form erteilen
möchte.
Praxistipp:
Die Entscheidung nimmt den Aufhebungsgrund "wesentliche Änderung der Grundlagen des Verfahrens" wörtlich und schränkt die teils ausufernde
Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Aufhebungen bei Vorliegen eines sachlichen Grunds ein. Sie lässt sich ohne Weiteres auf Vergaben nach der VgV
übertragen.
VK Bund, Beschluss vom 11.12.2020 (Az.: VK 2-91/20)
Feststellungsantrag kann zu Schadenersatzpflicht führen
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war ein Dienstleistungsauftrag nach SGB II und SGB III im Rahmen von Coachingleistungen für Sozialhilfeempfänger im
Unterschwellenbereich. Als Zuschlagskriterien waren 30% der Preis (Monatspreis pro Maßnahmenplatz) und 70% die Qualität des
Dienstleistungskonzepts gesetzt. Bieter B gab mit 1,6 Mio. EUR das teuerste von drei Angeboten ab. Der öffentliche Auftraggeber (öAG) erteilte
Bieter A den Zuschlag.
B wurde darüber erst 2 Wochen später informiert. Nach Akteneinsicht rügte B u. a. Dokumentationsmängel des öAG. Er rügte ferner, dass bei der
Wertung der Konzepte andere Kriterien als ursprünglich ausgeschrieben herangezogen wurden. Der öAG habe bei der Wertung mit "Checklisten"
gearbeitet, wonach in den Vergabeunterlagen nicht enthaltene Unterkriterien verwendet wurden.
Die Vergabekammer hatte festgestellt, dass der erteilte Zuschlag wegen nicht rechtzeitiger Vorabinformation unwirksam sei und die anderen Angebote
aufzuklären seien. Daraufhin wurde seitens des öAG und Bieter A sofortige Beschwerde eingelegt. Bieter B trat in dieser Zeit in die Insolvenz.
Nach Aufklärung, ob und wie er bei Beauftragung den Vertrag erfüllen werde, schloss der öAG das Angebot des nach Angebotsabgabe insolvent
gewordenen B aus, was dieser hinnahm. Weil er aber bei Angebotsabgabe vollumfänglich geeignet gewesen sei, treffe ihn an der Erledigung des
Verfahrens kein Verschulden. Er beantragt nun die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verfahrens, um Schadensersatz fordern zu können.
Beschluss:
Das OLG Frankfurt gibt dem Feststellungsantrag des B statt, denn der Verstoß gegen die Informationspflicht nach § 134 GWB verletzt B in seinen
Rechten, verursacht aber noch keinen Schaden. Indes habe der öAG die von den Bietern vorzulegenden Konzepte nicht wie ausgeschrieben, sondern
anhand von zusätzlichen, später in seinen "Checklisten" zur qualitativen Bewertung enthaltenen Unterkriterien geprüft, die B weder aus den
Bewerbungsbedingungen noch aus der Leistungsbeschreibung bekannt sein mussten. Ob B bei richtiger Wertung den Zuschlag hätte erhalten müssen,
blieb jedoch unsicher, sodass nur das negative Interesse geltend gemacht werden kann.
Auch der Dokumentationsmangel ist erheblich. Der umfangreiche Kriterienkatalog erforderte es, dass der öAG alle für die Zuschlagserteilung
maßgeblichen Erwägungen so eingehend dokumentiert, dass die konkreten qua-litativen Eigenschaften der Angebote mit ihrem Gewicht für die Benotung
klar erkennbar werden, weil sonst die jeweiligen Noten nicht nachvollziehbar und plausibel sind.
Praxistipp:
Das Verfahren vor der Vergabekammer dauerte über 12 Monate. Ein effektiver Rechtsschutz ist bei einer solch langen Verfahrensdauer schwer möglich.
Wichtig ist wie immer, dass ausführlich dokumentiert wird. Eine Bewertung nachzuholen, wenn dabei Ermessenentscheidungen zu treffen sind, ist
unzulässig.
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.09.2020 (Az.: 11 Verg 7/20)
Eignungskriterien müssen im Vorfeld bekannt gemacht werden und dürfen nicht nachträglich verschärft werden
Sachverhalt:
Bieter B verlangt vom öffentlichen Auftraggeber (öAG) Schadensersatz wegen unbegründetem Ausschluss von einem Vergabeverfahren. Zweifel bestanden
hinsichtlich des Vorliegens der geforderten Eignungskriterien. Erstmals in einem Bietergespräch teilte der öAG B mit, dass für einzelne
Arbeitsabschnitte die parallele Tätigkeit von mindestens vier Gruppen mit je zwei Monteuren erforderlich sei.
B wollte das Vorhaben dagegen mit zwei eigenen Monteuren ausführen und im Übrigen auf Leiharbeiter zurückgreifen. Der öAG schloss daraufhin B
wegen fehlender Eignung von der weiteren Wertung aus. Er begründete den Ausschluss damit, dass der Betrieb B, wie angeboten, wegen unzureichender
Personalausstattung ungeeignet sei. B macht daraufhin Schadensersatz geltend.
Beschluss:
Mit Erfolg. Aus den Vergabeunterlagen muss eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, welche Voraussetzungen (Erklärungen und gegebenenfalls
Nachweise) die Bieter erfüllen müssen, um die Eignungsprüfung positiv zu durchlaufen. Die vorzulegenden Erklärungen und Nachweise sind in der
Aufforderung zur Angebotsabgabe zu bezeichnen und bekanntzumachen.
Vorliegend enthielt die Bekanntmachung keine bestimmten Anforderungen an die Personalausstattung. Der öAG durfte nicht nachträglich die
Anforderungen an die personelle Ausstattung modifizieren und als Eignungskriterium anwenden. Die Leistungsfähigkeit des B ist deshalb nur dann
zu verneinen, wenn objektiv ernsthafte Zweifel bestünden, ob B den Auftrag mit dem ihm zur Verfügung stehenden Personal ordnungsgemäß und
fristgerecht hätte ausführen können, wofür der öAG die Darlegungs- und Beweislast trägt.
Praxistipp:
Präqualifikationssysteme bieten beiden Seiten Sicherheit: Auftraggeber müssen genau abwägen, welche Eignungskriterien sinnvoll, zulässig,
auftragsbezogen und nicht diskriminierend sind. Ein präqualifiziertes Unternehmen hat die Sicherheit, dass es die durch die gesetzlichen
Grundlagen geforderten Eignungskriterien abdeckt. Für den Auftraggeber entsteht grundsätzlich eine Eignungsvermutung, welche die Prüfung der
Eignung erleichtert.
BGH, Urteil vom 06.10.2020 (Az.: XIII ZR 21/19)
Wie ist der Auftragswert bei einer Rahmenvereinbarung zu ermitteln, die sich über mehrere Gebietslose erstreckt?
Sachverhalt:
Ein AG schreibt pro Gewerk Rahmenvereinbarungen für Instandsetzungsmaßnahmen seiner Liegenschaften in Gebietslosen aus. Für Malerarbeiten werden
insgesamt 6,7 Mio. investiert. Ein Bieter darf für max. 5 Lose ein Angebot abgeben, wodurch in der Summe der EU-Schwellenwert nicht überschritten
werden kann. In einem Nachprüfungsverfahren wird dem AG ein Verfahrensfehler nachgewiesen.
Der AG will mit einer sofortigen Beschwerde erreichen, dass das Nachprüfungsverfahren wegen Unterschreitung des Schwellenwertes für unzulässig
erklärt wird. Er argumentiert, dass durch die Angebotslimitierung kein Bieter den EU-Schwellenwert erreichen könne, das Gleiche gelte auch, weil
die Ausführungsorte weit auseinander lägen und kein funktionaler Zusammenhang zwischen den Losen eines Gewerks bestehe.
Beschluss:
Für die Auftragswertberechnung stellt auch das OLG Düsseldorf auf die ständige Rechtsprechung des EuGH ab, der konsequent den funktionalen
Zusammenhang der zu vergebenden Leistungen prüft, d.h. die Leistungen müssen einen technisch und wirtschaftlich einheitlichen Charakter aufweisen.
In einer Entscheidung des EuGHs von 29.05.2013 Az: Rs. T-384/10 bspw. diente die Betrachtung des funktionalen Zusammenhangs dazu, alle
Anlagenteile eines einheitlichen Bauwerks zu ermitteln, die über eine Region mit dem Ziel der Verbesserung der Wasserqualität verteilt waren und
deren Auftragswerte zu addieren waren. Das Leistungsziel ist folglich zuerst zu identifizieren, dann kann der Umfang der zu addieren
Auftragswerte auch sicher ermittelt werden.
In der Entscheidung des OLG geht es nicht um den Auftragswert für ein Gesamtbauwerk, das erstellt oder saniert werden soll, sondern auch um die
Betrachtung von Sanierungsmaßnahmen an verschiedenen Objekten und Orten, die jede für sich lokal betrachtet bereits einen Zweck erreicht.
Ausgeschrieben wurden hier Bauleistungen eines Gewerkes in mehreren Losen. Das OLG stellt auch hier maßgeblich darauf ab, ob zwischen den
Leistungen der Gebietslose ein funktionaler Zusammenhang besteht, d. h. die Leistungen einen technisch und wirtschaftlich einheitlichen
Charakter aufweisen.
Das bejaht das OLG, sodass alle Lose des Gewerkes zu addieren waren. Die Loslimitierung auf fünf Lose spielt daher für die Berechnung des
Auftragswerts keine Rolle. Da die Summe aller Auftragswerte bereits über dem EU-Schwellenwertes lag, war der Nachprüfungsantrag zulässig.
Da der Auftraggeber hier durch die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung (RV) mit einer einzigen Bekanntmachung sein Leistungsziel offenkundig
darin sieht, den Sanierungsbedarf seiner Liegenschaften zeitnah über einen längeren Zeitraum zu decken, ist von einem funktionalen Zusammenhang
aller Lose des gleichen Gewerks auszugehen. Alternativ hätte es vieler Einzelausschreibungen bedurft. Sein Leistungsziel kann der Auftraggeber
durch die RV mit Gebietslosen effizienter umsetzen. Wenn die zeitnahe Beschaffung dieser Leistungen über einen längeren Zeitraum aber sein
eigentliches Leistungsziel ausmacht, müssen auch sämtliche Auftragswerte für die Lose eines Gewerkes unabhängig vom Leistungsort addiert werden.
Nach Auffassung des OLG spricht vieles dafür, dass auch alle Lose der anderen Gewerke zu addieren sind. Das war aber nicht Gegenstand des
Nachprüfungsantrags (obiter dictum). Maßgeblich könnte dafür sein, dass auch die anderen Gewerke ebenso dem vom Auftraggeber angestrebten
Leistungsziel dienen, erforderliche Instandsetzungsarbeiten an seinen Liegenschaften zeitnah und über einen längeren Zeitraum beauftragen zu
können.
Praxistipp:
Bei der Berechnung des Auftragswertes ist größte Sorgfalt zu empfehlen. Zunächst ist das Beschaffungsziel zu ermitteln, das sozusagen die Klammer
der zu addierenden Leistungen bildet. Darüber gelingt es dann, den sog. „funktionalen Zusammenhang“ der auszuschreibenden Leistungen bei
unterschiedlichsten Sachverhalten sicher zu ermitteln. Fehler in der Auftragswertberechnung können Auftraggeber mehrfach unangenehm einholen,
nicht nur bei der Auswahl des richtigen Verfahrens, auch bei der Auskömmlichkeitsprüfung oder dem Wunsch, das Verfahren aufzuheben.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.07.2020 (Az.: Verg 40/19)
Was ist nötig, um ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen und damit gegebenenfalls Wettbewerb zu verhindern?
Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber schloss mit Bieter B am 16.06.2020 einen Vertrag über die "Erprobung der digitalen Identifizierungsmöglichkeit via
Selfie Ident-Verfahren". Er führte dabei unter Verweis auf die Corona-Pandemie nur mit B ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen
Dringlichkeit durch. Die geforderte Leistung war eine Software, die per Video den Personalausweis einer Person elektronisch identifizieren kann.
Nach Bekanntgabe des Vertragsschlusses über TED reichte ein Wettbewerber einen Nachprüfungsantrag ein. Er erklärte, er biete auch Ident-Verfahren
an, allerdings durch Anfertigung von Fotos.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Im Nachprüfungsverfahren konnte vom Antragsteller nicht hinreichend dargelegt werden, dass
ein einzelnes Foto geeignet ist, die Echtheit sämtlicher Sicherheitsmerkmale eines deutschen Ausweisdokuments mit dem vom öAG geforderten
Sicherheitsniveau zu verifizieren.
Die Vergabekammer geht auch davon aus, dass die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vorliegen: Zunächst sei
davon auszugehen, dass jede andere Verfahrensart aufgrund der vergaberechtlichen Vorgaben mindestens 25 Tage länger gedauert hätte als das
durchgeführte Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Dem Wortlaut des § 134 Abs. 3 Satz 1 GWB könne nicht entnommen werden, dass in
diesen Verfahrensarten aus Dringlichkeitserwägungen auf eine Vorabinformation hätte verzichtet werden können, sodass die Wartefrist von zehn
Kalendertagen entfiele. Zusätzlich wären bei diesen Verfahrensarten realistischerweise mehrere weitere Tage für die Beantwortung von Bieterfragen,
die Prüfung der Teilnahmeanträge und/oder Angebote sowie für etwaige Aufklärungsmaßnahmen seitens des öAG hinzuzurechnen.
Die Corona-Pandemie sei ein unvorhersehbares Ereignis. Der öAG habe anlässlich der aktuellen pandemischen Lage ein alternatives Verfahren testen
wollen, um festzustellen, ob dieses generell für seine Anforderungen in solchen Krisensituationen geeignet sei. Da der Fortgang der Pandemie und
die in diesem Zusammenhang vom öAG zur Fortführung seiner gesetzlichen Aufgaben zu ergreifenden Maßnahmen immer noch nicht eingeschätzt werden
können, erscheine die damalige Einschätzung des öAG umso richtiger, dass er sich dringend mit Alternativen zum persönlichen Erscheinen eines
Leistungsberechtigten in einer ihrer Dienststellen auseinandersetzen müsse, um für den nicht absehbaren Fortgang der Pandemie gerüstet zu sein.
Weiter sei zu berücksichtigen, dass pandemiebedingt die Zahl der IT-Beschaffungen angestiegen und die Bearbeitungskapazität durch eine starke
Ausdehnung des Homeoffice eingeschränkt sei.
Praxistipp:
Die Entscheidung macht deutlich, wann die Tatbestandsmerkmale des § 14 Abs. 4 Nr.3 VgV erfüllt sein können und wie eine Begründung für eine
dringliche Beschaffung zu Covid-19-Zeiten dokumentiert werden kann.
VK Bund, Beschluss vom 13.08.2020 (Az.: VK 1-54/20)
Funktioniert in einem elektronischen Vergabeverfahren das Hochladen nicht auf Anhieb und führt dies zu einer zeitlichen Verzögerung mit der Folge
des Versäumnisses der Angebotsfrist, fällt dies in den Verantwortungsbereich des Bieters.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war ein elektronisches Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Der Bedarf ist in zwei Lose aufgeteilt. Fristablauf für den
Eingang der Erstangebote ist der 13.02.2020, 11.30 Uhr. Die Angebote des Bieters A gehen am 13.02.2020 um 11.37 Uhr auf der E-Vergabe-Plattform
ein. Der öAG schließt die Angebote nach § 31 Abs. 2 Nr. 5 VSVgV wegen nicht fristgerechten Eingangs aus. Eine Nachschau der beiden
Angebotsvordrucke des A ergibt, dass ein Angebot um 11.08 Uhr, das andere um 11.30 Uhr signiert worden ist, also kurz vor bzw. zum Zeitpunkt des
Angebotsfristablaufs.
A rügt seinen Ausschluss und macht geltend, er habe die Verspätung nicht zu vertreten. Die verspätete Angebotsabgabe habe hier darauf beruht, dass
zunächst ein Update der vom öAG vorgegebenen E-Vergabe-App habe installiert werden müssen. Die Gründe für die Verspätung beruhten damit auf
Umständen, die in der Risikosphäre des öAG lägen und wendet sich an die zuständige Vergabekammer.
Beschluss:
Ohne Erfolg. A hat den verspäteten Eingang zu vertreten. Dies ergibt sich nach Ansicht der Vergabekammer einmal bereits daraus, dass der Bieter
nach seinen eigenen Angaben zweiundzwanzig Minuten vor Ablauf der Angebotsfrist mit dem gesamten Hochladevorgang begonnen hat. Zwar steht es einem
Bieter zu, die Angebotsfrist auszuschöpfen. Vorliegend ist jedoch weder durch A geltend gemacht noch sonst erkennbar, dass es einen auf das
Fristenregime des öAG zurückgehenden sachlichen Grund gegeben hat, erst so kurzfristig mit dem Hochladen zu beginnen.
Wenn das Hochladen nicht auf Anhieb funktioniert und dies zu einer sehr geringfügigen zeitlichen Verzögerung führt mit der Folge des Versäumnisses
der Angebotsfrist, so fällt dies in die Sphäre des Bieters, der verantwortlich ist für die Organisation seiner internen Abläufe. Ein
Nicht-Vertreten-Müssen des Bieters ist bei dieser Sachlage nur anzunehmen, wenn erwiesenermaßen eine von der Vergabestelle zu vertretende
Fehlfunktion des elektronischen Systems vorgelegen hat. Hier wurde bei einem Los die elektronische Signatur erst um 11.30 Uhr angebracht, so dass
die Kausalität der Aktualisierung der App, die für das Hochladen erforderlich ist, für den verspäteten Eingang schon nicht erkennbar ist.
Für beide Lose gilt, dass die App eine Anwendungssoftware darstellt, die auf dem PC des Nutzers implementiert wird. Die App und ihr
Funktionieren hängen ab von der Konstellation des lokalen PC, auf die der öAG keinen Einfluss hat. Die App liegt daher in dem
Verantwortungsbereich des Nutzers, also des A.
Praxistipp:
Hier zeigt sich deutlich: Keine Änderung durch eVergabe in der Praxis. Auch im Papierzeitalter sind Bieter gehalten, ihre Angebote rechtzeitig auf
den Postweg zu bringen und eine entsprechend lange Zustellzeit einzukalkulieren. Müssen bei einem elektronischen Angebot vor dem Hochladen auch
noch Installationen getätigt werden, muss dies seitens des Bieters zeitlich für die Angebotsabgabe bemessen werden – ansonsten droht ein
Ausschluss wegen Fristversäumnis.
VK Bund, Beschluss vom 29.05.2020 Az: VK 2-19/10
Werden in der Bekanntmachung Referenzen über "vergleichbare" Aufträge gefordert, darf der Auftraggeber bei der Bewertung der Referenzen keinen zu
engen Maßstab anlegen. Er ist gehalten, den Referenzangaben bei jedem Bieter zumindest teilweise nachzugehen, sie z. B. durch telefonische
Nachfrage bei den Referenzauftraggebern zu überprüfen.
Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber (öAG) schrieb den Bau eines passiven Breitbandnetzes in einem EU-weiten Verfahren aus. Zum Nachweis der Eignung
forderte er eine "einschlägige" Referenz. Die "Vergleichbarkeit" der Referenz sollte u. a. anhand des Kriteriums Art der Leistung bewertet werden.
Der öAG hielt Erfahrungen im Leitungsbau (außerorts) in geschlossener Bauweise für förderlich.
Die Eignung des Bieters A wurde wegen Nichterfüllung der Eignungsbedingungen verneint und sein Angebot ausgeschlossen. A stellte einen
Nachprüfungsantrag. Nach erfolgter Akteneinsicht beanstandet A, dass der öAG keine Rücksprache bei den Referenzgebern vorgenommen habe.
Beschluss:
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Der Ausschluss des Angebots des A aufgrund vermeintlich nicht nachgewiesener Eignung ist
vergaberechtswidrig. Die in der Vergabeakte dokumentierte Prüfung der Eignung des A - insbesondere auch hinsichtlich der von ihm beigebrachten
Referenz - genügt weder den Anforderungen des §16 b EU VOB/A 2019 noch den Anforderungen an die Dokumentation des Vergabeverfahrens gemäß § 20
VOB/A 2019, § 8 VgV.
Bei der Bewertung der Vergleichbarkeit einer Referenz steht dem öAG ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Es genügt, wenn die Referenzleistungen
dem zu vergebenden Auftrag nahekommen und einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung
ermöglichen. Dies wurde hier nach Ansicht der Vergabekammer verkannt. Die Referenzen, die überwiegend innerorts ausgeführte Leistungen in offener
Bauweise beinhalteten, passen zum hier in Rede stehenden Auftrag.
In der Vergabeakte ist nicht dokumentiert, ob, wann, mit welchem Inhalt und mit welchem Ergebnis der öAG Kontakt zum Referenzgeber aufgenommen und
sich mit diesem über die Art und Weise der Auftragserledigung durch den Bieter ausgetauscht hat. Dies wäre hier notwendig gewesen, da der öAG nur
eine einzige Referenz für den Nachweis der Eignung gefordert hat. Bei einer vom öAG gesetzten Beschränkung der Eignungsdarstellung auf nur eine
Referenz, ist es erforderlich, dass für jeden Bieter die Referenz mit der nötigen Tiefe überprüft, nämlich mit dem Referenzauftraggeber erörtert
und entschieden wird, ob der Referenzauftrag die ausgeschriebenen Leistungen abdeckt und die Eignung des Bieters bejaht werden kann. Ein solches
Vorgehen ist dem öAG zumutbar und muss in genügender Weise vor der Ausschlussentscheidung dokumentiert werden.
Praxistipp:
Wenn, wie vorliegend, der öAG im Rahmen der Eignung nur eine Referenz von den Beteiligten abfragt, ist die Prüfung der Vergleichbarkeit einer
Referenz vollumfänglicher vorzunehmen. Kritisch zu werten ist im vorliegenden Fall, dass der öAG nicht nur eine, wie von der Verordnung
vorgegebene, „vergleichbare“, sondern eine „einschlägige“ Referenz verlangte. Darauf ist die Kammer in ihrer Entscheidung gar nicht eingegangen.
Nur wenn eine Referenz nach der Papierform als "passend" anzusehen ist, kann überhaupt eine Pflicht des öAG bestehen, sich die Richtigkeit und die
ordnungsgemäße Leistungserbringung durch den Referenzgeber bestätigen zu lassen. Eine Pflicht des öAG, jedwede Referenz zu überprüfen, dürfte
angesichts des vergaberechtlichen Beschleunigungs- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht bestehen.
VK Lüneburg, Beschluss vom 18.05.2020, Az.: VgK 06/2020
Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Unterschwellenbereich besteht keine generelle Informations- und Wartepflicht entsprechend § 134 des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
Sachverhalt:
Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Leistungen der sozialen Schuldnerberatung öffentlich aus. Bieter A gab neben weiteren Bietern ein Angebot
ab. Den Angebotspreis stellte er allerdings unter den Vorbehalt einer Weiterfinanzierung über das Jahr 2019 hinaus, weshalb der Auftraggeber das
Angebot im Laufe des Vergabeverfahrens ausschloss.
Kurz nach Angebotsabgabe forderte A den Auftraggeber zur Sachstandsmitteilung auf und bat um Bestätigung, dass er vor der Zuschlagserteilung über
die Auswahl des erfolgreichen Bieters informiert und eine angemessene Frist bis zum Vertragsschluss abgewartet werde. Der Auftraggeber lehnte das
Bestehen einer solchen Informations- und Wartepflicht ausdrücklich ab und erteilte Bieter Z den Zuschlag. Dagegen ging Bieter A vor.
Beschluss:
Ohne Erfolg. A steht kein Anspruch auf Untersagung des Vertragsvollzuges wegen angeblicher Nichtigkeit des Vertrages zu. Im Unterschwellenbereich
besteht keine allgemeine Informations- und Wartepflicht, die der Auftraggeber hier verletzt haben könnte. § 19 VOL/A bzw. § 46 UVgO sehen
lediglich vor, dass der Auftraggeber die nicht berücksichtigten Bieter nachträglich über die bereits erfolgte Zuschlagserteilung informieren muss.
Anders als in einigen anderen Bundesländern (z. B. Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) existierte zum
entscheidungsrelevanten Zeitpunkt in Niedersachen (noch) keine mit § 134 Abs. 1 GWB vergleichbare Bestimmung im Landesvergaberecht.
Eine entsprechende (analoge) Anwendung des § 134 GWB scheidet mangels einer „planwidrigen Regelungslücke“ aus. Denn bei der Neuregelung der UVgO
wurde die Problematik der Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich erkannt, diskutiert und eine solche Pflicht abgelehnt.
Bei fehlender Binnenmarktrelevanz des ausgeschriebenen Auftrags ergibt sich auch aus dem Europarecht keine Informations- und Wartepflicht. Die
verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Informations- und Wartepflicht bei Beförderungsentscheidungen im Beamten- und Richterrecht ist auf die
Vergabe von Aufträgen nicht übertragbar, weil es hier nicht um Ausübung öffentlicher Gewalt geht. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht
(Beschluss vom 13.06.2006, 1 BvR 1160/03) die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung einer Informations- und
Wartepflicht im Unterschwellenbereich ausdrücklich verneint.
Praxistipp:
Mit dieser Entscheidung hat das OLG Celle der Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf widersprochen. Dieses hatte mit Urteil vom 13.12.2017
(27 U 25/17) – wenn auch nur am Rande – das Bestehen einer solchen Pflicht bejaht. Zu beachten ist, dass in Niedersachsen seit dem 01.01.2020
eine Informations- und Wartepflicht in § 16 NTVergG ausdrücklich geregelt ist.
OLG Celle, Urteil vom 09.01.2020, Az: 13 W 56/19
Der Auftraggeber kann in den Vergabeunterlagen vorgeben, dass bestimmte kritische Aufgaben direkt vom Bieter bzw. späteren Auftragnehmer selbst
ausgeführt werden müssen.
Sachverhalt:
Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Postdienstleistungen europaweit im offenen Verfahren aus und forderte von den Bietern, dass diese
ausschließlich im Bereich der Postdienstleistungen tätig sind und den ausgeschriebenen Leistungsumfang mit eigenen Mitarbeitern erfüllen. Der
Auftragnehmer ist nicht berechtigt, die Erfüllung der ausgeschriebenen Leistungen, auch in Teilen, Dritten zu übertragen. Bieter A rügte den
generellen Ausschluss von Nachunternehmerschaften.
Der Rüge wurde seitens des Auftraggebers mit Verweis auf § 47 Abs. 5 VgV nicht abgeholfen. Danach kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben,
dass „bestimmte kritische Aufgaben bei Dienstleistungsaufträgen [...] direkt vom Bieter selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem
Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen“. A ging damit vor die zuständige Vergabekammer.
Beschluss:
Mit Erfolg! Das ausnahmslose Verbot des Einsatzes von Unterauftragnehmern verstoße gegen Vergaberecht. Auch die Voraussetzungen eines
ausnahmsweise erlaubten Selbstausführungsgebotes für „bestimmte kritische Aufgaben“ gemäß § 47 Abs. 5 VgV, auf die sich der Auftraggeber berief,
können ein grundsätzliches Verbot nicht rechtfertigen.
Der Auftraggeber definiere die Gesamtheit der zu vergebenen Postdienstleistungen als „kritische Aufgabe“ im Sinne des § 47 Abs. 5 VgV. Mit
„bestimmten“ kritischen Aufgaben könnten allerdings nur Teilleistungen eines Vertrages gemeint sein, nie jedoch der gesamte Vertrag. Es sei
vergaberechtlich nicht zulässig, wenn die in § 36 VgV vorgesehene, grundsätzliche Möglichkeit, Nachunternehmer zu berücksichtigen, durch die
Ausnahmeregelung des § 47 Abs. 5 VgV unterlaufen würde.
Praxistipp:
"Kritisch" in diesem Sinne sind Leistungen, die entweder besonders fehleranfällig oder für den Leistungserfolg von besonderer Bedeutung sind. Was
genau damit gemeint ist, ist in den gesetzlichen Grundlagen nicht näher definiert. Es gibt aber durchaus Meinungen, die aufgrund der
Richtlinienvorschrift, welche keine konkrete Begrenzung des Leistungsumfangs enthält, in entsprechenden Ausnahmefällen auch den überwiegenden
Teil oder die gesamte Leistung dem Selbstausführungsgebot unterstellen.
VK Thüringen, Beschluss vom 19.12.2019, Az: 250-4003-15326/2019-E-010-G
Grundsätzlich sind alle EU-Verfahren über eine eVergabeplattform vollelektronisch durchzuführen. Nur in Ausnahmefällen lässt § 53 Abs. 2 VgV eine
andere Form der Übermittlung zu.
Sachverhalt
Der öffentliche Auftraggeber schrieb in einem EU-weiten offenen Verfahren Stichschutzwesten für den Justizvollzug als Rahmenliefervertrag aus. In
der Bekanntmachung und der Aufforderung zur Angebotsabgabe hieß es, Angebote seien elektronisch einzureichen. Gleichzeitig enthielt die
Aufforderung zur Angebotsabgabe den Hinweis, dass ein den Vergabeunterlagen beigefügter Angebotskennzettel "auf den verschlossenen Umschlag
geklebt" werden solle "in dem sich ihre vollständigen Angebotsunterlagen befinden". Überdies war eine Checkliste zur Selbstprüfung der
Angebotsvollständigkeit Bestandteil der Vergabeunterlagen.
Bieter A reichte sein Angebot nebst einer geforderten Musterstichschutzweste per Post ein. Sein Angebot enthielt kein Konzept zur "individuellen
Anpassung" der Schutzwesten. Die Checkliste sah auch kein Konzept der Bieter als Angebotsbestandteil vor. Das Angebot des A wurde wegen eines
Formfehlers und Unvollständigkeit ausgeschlossen. Dagegen wehrt sich A vor der zuständigen Vergabekammer.
Beschluss:
Mit Erfolg. Sowohl der Ausschluss wegen eines Formverstoßes, als auch wegen Unvollständigkeit des übermittelten Angebots sei rechtswidrig.
Öffentliche Auftraggeber seien verpflichtet, die einzureichenden Unterlagen klar und vor allem widerspruchsfrei zur Verfügung zu stellen; dies
gelte auch für den Regelfall der elektronischen Angebotsabgabe. Jede Unklarheit führe zu Gunsten der Bieter zur Möglichkeit, Angebote insgesamt
postalisch einzureichen.
Öffentliche Auftraggeber könnten die postalische Angebotsabgabe überdies zulassen! § 53 Abs. 1 VgV regle keinen eindeutigen Vorrang der
elektronischen Angebotsabgabe. Vielmehr eröffne § 53 Abs. 2 VgV für physisch notwendige Angebotsbestandteile Ausnahmen (Muster, Modelle, Pläne
etc.), so dass nicht eindeutige Hinweise zu Unsicherheiten bei den Bietern führten.
Aufgrund der zweideutigen Formhinweise in der Aufforderung zur Angebotsabgabe habe Bieter A sein Angebot insgesamt elektronisch oder postalisch
einreichen dürfen. Nichts anderes gelte für den ungerechtfertigten Ausschluss wegen Unvollständigkeit. Anforderungen an die einem Angebot
beizufügenden Unterlagen könnten sich zwar außerhalb einer Checkliste befinden. Wenn der öffentliche Auftraggeber aber eine freiwillige
Checkliste zur Verfügung stelle, schaffe er einen Vertrauenstatbestand im Hinblick auf die Vollständigkeit der Angebotsbestandteile. Dieser
verpflichte ihn dazu, fehlende, außerhalb der Checkliste geforderte weitere Unterlagen immer nachzufordern. Insoweit reduziere sich die
Ermessensausübung im Hinblick auf die Nachforderung auf Null; ein unmittelbarer Ausschluss wegen Unvollständigkeit des Angebots komme nicht in
Betracht.
Praxistipp:
Im Ergebnis ist der Vergabekammer vollumfänglich zu zustimmen. Hinsichtlich der Deutung der Aussage des § 53 VgV ist jedoch Vorsicht geboten:
§ 53 Abs. 1 VgV regelt den Regelfall der elektronischen Vergabe aufgrund des in den Vergaberechtsgrundlagen verankerten Grundsatzes der
elektronischen Kommunikation. Das erklärte große Ziel in naher Zukunft ist die papierlose Vergabe.
Lediglich für Ausnahmefälle regelt § 53 Abs. 2
VgV die Möglichkeit, Angebote nicht auf elektronischem Wege zu fordern, nämlich erstens mit Verweis auf § 41 Abs. 2 VgV = „besondere Art der
Vergabe“ oder „technische Hindernisse“ und zweitens, wenn zugleich physische oder maßstabsgetreue Modelle (Muster) einzureichen sind. Nur in
diesen Fällen erfolgt die Kommunikation auf dem Post- oder anderen elektronischen Wege. Diese Ausnahme ist vom öffentlichen Auftraggeber auch im
Vergabevermerk zu begründen.
VK Sachsen, Beschluss vom 29.11.2019, Az: 1/SVK/032-19
Grundsätzlich darf sich der öffentliche Auftraggeber auf die in den Angeboten dargelegten Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Eine
Überprüfungspflicht ergibt sich, wenn das Leistungsversprechen aufgrund konkreter Tatsachen nicht plausibel erscheint. In der Wahl der Mittel zur
Überprüfung ist der öffentliche Auftraggeber frei, soweit das gewählte Mittel zur Überprüfung geeignet und die Mittelauswahl frei von
sachwidrigen Erwägungen getroffen worden ist.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war in einem EU-weiten Verfahren der Erwerb einer Landeslizenz zur Nutzung einer Software zur Erstellung von CO2-Bilanzen. In den
Vergabeunterlagen war die zu liefernde Software im Einzelnen beschrieben. Es wurde gefordert, dass die Bieter eine Erklärung dahingehend abgeben,
mit Auftragsbeginn eine den Anforderungen entsprechende Softwarelösung zur Verfügung stellen zu können.
Nach Erteilung des Zuschlags beanstandete ein unterlegener Bieter, der Bezuschlagte könne die Anforderungen an den Beschaffungsgegenstand nicht
erfüllen. Der öffentliche Auftraggeber entschied sich gegen einen Test der Software und blieb bei seiner Entscheidung. Gegen die Zurückweisung
des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer hat der unterlegene Bieter sofortige Beschwerde eingelegt.
Beschluss:
Dies auch ohne Erfolg. Das OLG hat sich neben prozessualen Fragen damit auseinandergesetzt, ob und inwieweit der öffentliche Auftraggeber
verpflichtet ist, im Laufe eines Verfahrens zu überprüfen, dass Bieter die abgegebenen Leistungsversprechen auch tatsächlich einhalten können.
Im Ergebnis kommt das OLG zu der Entscheidung, dass eine grundsätzliche Überprüfungspflicht nicht bestünde. Ein öffentlicher Auftraggeber dürfe
sich darauf verlassen, dass die Bieter ihre mit dem Angebot eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen mit der Ausführung der Leistung auch
einhalten können.
Eine Überprüfungspflicht ergebe sich nur dann, wenn das Leistungsversprechen aufgrund konkreter Tatsachen nicht plausibel erscheint. In diesen
Fällen müsse der öffentliche Auftraggeber aus Gründen der Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter bereit und in der Lage
sein, das Leistungsversprechen der Bieter zu überprüfen. In der Wahl seiner Überprüfungsmittel sei er dabei grundsätzlich frei, solange ein
geeignetes Mittel gewählt wird und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen erfolgt.
Praxistipp:
Unterlegene Bieter können ausnahmsweise eine Überprüfung eines Konkurrenzangebots erreichen. Es müssen jedenfalls konkrete Tatsachen die Zweifel
am Leistungsversprechen begründen und entsprechend vorgetragen werden. Dabei ist zu beachten, dass von einem Bieter nicht bereits bei
Angebotsabgabe, sondern erst bei vertraglichem Leistungsbeginn verlangt werden kann, die ausgeschriebene Leistung zu erbringen. Der öffentliche
Auftraggeber kann im Vorfeld die grundsätzliche Leistungsfähigkeit von Bietern durch eine umfassende Eignungsprüfung prüfen.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020, Az: Verg-20/19
Ein Nachprüfungsbegehren, das gestützt auf einen der Unwirksamkeitsgründe des § 135 Abs. 1 GWB nur auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertragsschlusses gerichtet ist, mit dem aber keine sonstigen
Verstöße gegen Vergabevorschriften geltend gemacht werden und mit dem damit nicht um einen über die Unwirksamkeitsfeststellung hinausgehenden Primärrechtsschutz nachgesucht wird, ist wegen fehlender
Antragsbefugnis unzulässig.
Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber, ein Universitätsklinikum, machte am 30.09.2017 im Supplement zum Amtsblatt der EU einen als Lieferauftrag
bezeichneten Auftrag bekannt. Gegenstand war die Lieferung und der Aufbau eines Sterilisators mit einem Kammervolumen von 9 Sterilgut-Einheiten.
Der Laborsterilisator war für einen Neubau des Zentrums für Synthetische Lebenswissenschaften vorgesehen. Einziges Zuschlagskriterium war der
Preis.
Bieter B unterbreitete mit Angebotsschreiben vom 14.11.2017 ein Angebot zu einem Bruttopreis von [...] EUR. Nach dem Ergebnis des Öffnungstermins
vom 15.11.2017 lag das Angebot auf Platz zwei. Am 26.03.2018 versendete B ein Schreiben an die Vergabestelle so wie auch an die Vergabekammer
Rheinland mit dem Inhalt:"[...] hiermit legen wir vorsorglich Widerspruch ein, sollte die Vergabeentscheidung zu o.g. Ausschreibung zugunsten der
Firma N. GmbH D. fallen.
Begründung:
Ausschreibungskriterium für die Abfallprogramme war, dass diese in der Liste der vom RKI geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel- und verfahren unter der Ziffer 3.4.3.3 fraktionierte
Vakuumverfahren entsprechen. Die von der Firma N. GmbH vertriebenen Autoklaven sind nicht in der Liste der vom Robert Koch-Institut gelisteten Desinfektionsmittel- und Verfahren aufgeführt. Damit ist das
Angebot von der Wertung auszu-schließen. [...]" Die Vergabestelle führt daraufhin mit Bieter A ein Aufklärungsgespräch. Am 28.05.2018 erteilte sie den Zuschlag an A. Den Vertragsschluss machte die
Vergabestelle am 31.05.2018 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union bekannt. Hiergegen wendet sich B mit seinem Nachprüfungsantrag.
Beschluss:
Ohne Erfolg. B fehlt für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 1 i. V. m. § 135 GWB die von § 160 Abs. 2 GWB geforderte
Antragsbefugnis. Gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB ist nur das Unternehmen antragsbefugt, das mit seinem Nachprüfungsantrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von
Vergabevorschriften geltend macht. Im Fall eines Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 1 i. V. m. § 135 GWB muss sich diese Geltendmachung auf
mindestens zwei Vergaberechtsverstöße beziehen, zum einen auf einen der Verstöße, die in § 135 Abs. 1 GWB genannt sind und den Weg in den
Primärrechtsschutz eröffnen und zum anderen auf sonstige Vergaberechtsverstöße. Erst diese Letzteren, nicht aber allein die in § 135 Abs. 1GWB
genannten Verstöße können zu einer Beeinträchtigung von Zuschlagschancen führen und damit einen zumindest drohenden Schaden im Sinne von § 160
Abs. 2 Satz 2 GWB begründen, den das antragstellende Unternehmen darlegen muss.
Der § 135 Abs. 1 GWB sieht vor, dass ein Bieter einen erteilten Zuschlag grundsätzlich nur angreifen kann, wenn dieser zu einem schwebend
unwirksamen Vertrag geführt hat. Dies ist der Fall, wenn der Auftraggeber gegen seine Vorabinformationspflicht verstoßen oder den Auftrag
rechtswidrig ohne vorherige Bekanntmachung veröffentlicht hat. Mit seiner Entscheidung engt das OLG Düsseldorf die Nachprüfungsmöglichkeit weiter
ein: Der Bieter habe seine Antragsbefugnis nur nachgewiesen, wenn er neben dem Verstoß gegen die Vorabinformations- oder die
Bekanntmachungspflicht weitere Verstöße gegen Vergaberecht darlege.
Praxistipp:
Die Entscheidung setzt sehr strenge Anforderungen. Ob andere Gerichte der engen Auslegung des OLG Düsseldorf folgen, oder einen Verstoß gegen § 135 als ausreichend für die Antragsbefugnis erachten,
bleibt abzuwarten.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.12.2019 (Az.: Verg 53/18)
Der öffentliche Auftraggeber kann von Bietern bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen nicht die Vorlage von Referenzbescheinigungen, ausgestellt durch die jeweiligen Referenzgeber, verlangen.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war die Lieferung von 3-Achs-Lastkraftwagen in einem EU-weiten Verfahren. In der Auftragsbekanntmachung setzte der Auftraggeber einen Link, der zum Formblatt L 124 EU (Eigenerklärung zur Eignung)
führte, welches er aber nicht bearbeitet hatte. Angekreuzt war deshalb nicht, dass die Bieter drei vergleichbare Referenzleistungen zu benennen hatten. In den Vergabeunterlagen befand sich das Formblatt L 124 d
es Vergabehandbuchs für Lieferungen und Leistungen (VHL) Bayern für die Eignungserklärung, in dem der entsprechende Platzhalter zur Benennung von drei Referenzen angekreuzt war. Dieses Formblatt enthielt
zudem folgenden Passus: "Falls mein(e)/unsere(e) Bewerbung/Angebot in die engere Wahl kommt, werde(n) ich/wir für die oben genannten Leistungen Bescheinigungen über die ordnungsgemäße Ausführung und das Ergebnis
auf gesondertes Verlangen vorlegen."
Bieter A rügt diese Vorgabe: Eine Referenzbescheinigung könne nicht in jedem Fall beigebracht werden und zwar aus Gründen, die der Bieter nicht zu vertreten habe. Der Auftraggeber half der Rüge nicht ab,
die Anforderungen an die Referenzen seien mittels einer abrufbaren direkten Verlinkung wirksam bekannt gemacht worden, und drohte A mit dem Ausschluss.
A strengte daraufhin ein Nachprüfungsverfahren an. Im Nachprüfungsverfahren erklärte der Auftraggeber, er versetze das Vergabeverfahren in den Stand vor Bekanntmachung zurück, da Änderungen an den
Vergabeunterlagen zwingend erforderlich seien: Das der Bekanntmachung beigefügte Formblatt habe nicht die notwendigen Angaben enthalten und werde erneut bekannt gemacht.
Beschluss:
Der Nachprüfungsantrag hatte überwiegend Erfolg: Die Forderung nach Referenzbescheinigungen sei rechtswidrig, weil § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV nur die (Eigen-)Angabe von Referenzen in Form einer Liste erlaube.
Bescheinigungen der Referenz-Auftraggeber seien in § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV nicht erwähnt und dürften daher nicht verlangt werden. Auch Anhang XII Teil 2 a) ii) der Vergaberichtlinie 2014/24/EU spreche
nur von "Verzeichnissen". Anders bei Bauleistungen. Nach der Vergabe-Richtlinie 2014/24/EU könne ein Auftraggeber "für die wichtigsten Bauleistungen Bescheinigungen über die ordnungsgemäße Ausführung
und das Ergebnis" verlangen (vgl. auch § 6a EU Nr. 3 a Satz 1 VOB/A). Bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sei die verpflichtende Vorlage von Referenzbescheinigungen dagegen nicht zulässig;
zumindest dürfe die Vergabestelle ein Angebot nicht deswegen ausschließen, weil die angeforderten Referenzbescheinigungen nicht (fristgerecht) vorgelegt werden. Die Vorgabe an die Bieter,
einen Ansprechpartner zur Prüfung der Referenzen zu benennen, dürfe vom Auftraggeber verlangt werden.
Praxistipp:
Mit der Vergaberechtsreform 2016 ist die Regelung zur Vorlage von Referenzen im Liefer- und Dienstleistungsbereich geändert worden. Es reicht die Auflistung entsprechender zum
Leistungsgegenstand vergleichbarer Aufträge. Geändert hat sich die Form, der Sinn und Zweck ist jedoch derselbe geblieben: Öffentliche Auftraggeber nutzen die Angaben, um die Eignung feststellen zu
können; dies auch durch Rücksprache mit dem jeweiligen Referenzgeber.
VK Nordbayern, Beschluss vom 7.11.2019 (Az.: RMF -SG21- 3194-4-48)
Sie soll allgemein verständlich und erschöpfend beschrieben sein – wer ist der objektive Empfänger?
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren Betonschutzwände als Schutzeinrichtungen an einer Bundesautobahn. Diese sind systemoffen ausgeschrieben, wobei auf das Erfordernis einer "Schutzeinrichtung mit korrosionsgeschützter
Bewehrung" hingewiesen wird. Hintergrund sind Erkenntnisse der Straßenbauverwaltungen über korrosionsbedingte Schäden an Ortbetonschutzwänden. Bieter B bot die Betonschutzwand in Ortbeton an, deren
Bewehrung zum Zwecke des Korrosionsschutzes mit einer PE-ummantelten Stahllitze versehen wird, der Beigeladene Bieter A bot die Betonschutzwand aus Betonfertigteilelementen an. Nach Auffassung des B
ist das Angebot des A auszu-schließen, da die Betonfertigteile nicht über einen gesonderten Korrosionsschutz der Stahlbewehrung verfügen und deren system- bzw. fertigungsbedingter Korrosionsschutz
durch die Betonüberdeckung nicht ausschreibungskonform sei.
Beschluss:
Ohne Erfolg: Das OLG Frankfurt sieht den Ausschreibungstext als eindeutig an: Maßgeblich für das Verständnis der Vergabeunterlagen ist der objektive Empfängerhorizont des potenziellen Bieters. Dabei
ist auf einen branchenkundigen und mit der ausgeschriebenen Leistung durchschnittlich vertrauten Unternehmer abzustellen, der über das für die Angebotsabgabe notwendige Fachwissen verfügt und die
Leistungsbeschreibung sorgfältig liest. Dem Wortlaut der Ausschreibung kommt dabei eine vergleichsweise große Bedeutung zu, wobei die speziellen Angaben in der betreffenden LV-Position in Verbindung
mit den anderen Angaben im Leistungsverzeichnis und den anderen Vertragsunterlagen unter Einbeziehung der technischen Normen und des Stands der Technik als sinnvolles Ganzes auszulegen sind. Dem
Fachmann muss danach bekannt sein, dass Schutzeinrichtungen in Ortbetonbauweise weitaus stärker korrosionsanfällig sind als solche aus Betonfertigteilen, die wegen ihres Herstellungsverfahrens viel
weniger korrosionsanfällig sind und deshalb nach dem Stand der Technik ohne nochmals gesondert korrosionsgeschützte Bewehrung hergestellt werden. Für das Verständnis des fachkundigen Bieters muss
insoweit auch auf die in jüngerer Vergangenheit gewonnenen baustofftechnischen Erkenntnisse und die daraus auf Auftraggeberseite und in den Fachgremien gezogenen Konsequenzen abgestellt werden.
Praxistipp:
In der Entscheidung wird darauf hingewiesen, dass sich ein Bieter unabhängig von der Verpflichtung des Auftraggebers, die Leistungsbeschreibung eindeutig und erschöpfend darzustellen, bei der Auslegung der
Leistungsbeschreibung immer fragen muss, was der Auftraggeber aus seiner Interessenlage heraus wirklich gewollt hat. Sofern er Zweifel hat, ob seine Auslegung der Leistungsbeschreibung tatsächlich den
Willen der Vergabestelle entspricht, trifft ihn gegebenenfalls die Verpflichtung, seine Zweifel durch Rückfragen zu klären.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 5.11.2019 (Az.: 11 Verg 4/19)
Ein Vergabeverfahren ohne vorherige EU-Bekanntmachung darf nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen durchgeführt werden. Ein solches Verfahren ist ausnahmsweise nur dann erlaubt, wenn es wirklich
keine Alternative gibt und eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs ausgeschlossen werden kann.
Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber hat am [...] 2019 einen bereits vergebenen Auftrag EU-weit bekannt gemacht. Er gab an, dass er am [...] 2019 den Auftrag zur Beschaffung einer Röntgenkleinwinkelstreuanlage
an B vergeben habe. Diese SAXS-Anlage (Small Angle X-ray Scattering) soll im Bereich der [...]forschung des Auftraggebers eingesetzt werden, um mithilfe von Röntgenstrahlen [...] zu analysieren.
In der EU-Bekanntmachung hat der Auftraggeber unter Ziffer II.2.4 das beschaffte Gerät näher beschrieben. Dieses müsse u. a. über einen verfahrbaren Detektor verfügen, der den Umbau bei Wechsel des
Probe-Detektor-Abstands obsolet mache, Streuvektoren < 0,025 nm-1 auflösen können sowie über eine "zusätzliche WAXS Option" verfügen. Unter Ziffer IV.1.1 der EU-Bekanntmachung führte der Auftraggeber
näher aus, dass er den Auftrag ohne vorherige Bekanntmachung eines Aufrufs zum Wettbewerb vergeben habe, weil nur B in der Lage sei, den Beschaffungsbedarf zu erfüllen, da die Röntgenoptik und die
Strahlstabilität von B patentiert seien. Nachdem A über die Internetseite "[...]" am 20. August 2019 von der Auftragsvergabe an B Kenntnis erlangte, rügte sie am 21. August 2019, dass nicht nur B,
sondern auch sie selber die betreffende Anlage hätte liefern können.
Beschluss:
Mit Erfolg! Der mit der B abgeschlossene Vertrag ist unwirksam. Die Kammer entscheidet, dass die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV (= Auftrag kann nur von einem Unternehmen erbracht werden,
da aus technischen Gründen kein Wettbewerb besteht), kein Vergabeverfahren mit vorheriger EU-Bekanntmachung durchzuführen, nicht vorliegen. Solche Regelungen, die vom Grundsatz abweichen, offene oder
nichtoffene, also wettbewerbliche Vergabeverfahren durchführen zu müssen, sind wegen ihrer negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb grundsätzlich eng auszulegen. Dies gilt erst recht für den
vollständigen Verzicht auf Vergabewettbewerb, wenn ein öffentlicher Auftraggeber seinen Vergabeentschluss vor Zuschlagserteilung trifft, also überhaupt nicht in den Wettbewerb mehrerer Bieter
stellt, sondern mit nur einem einzigen Unternehmen verhandelt; Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung sollen daher "nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen" durchgeführt werden
dürfen. Ein solches Verfahren ist nur dann erlaubt, "wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung
der Auftragsvergabeparameter ist". Diese Voraussetzungen müssen objektiv vorliegen und sind von demjenigen, der sich auf die Ausnahmevorschrift beruft, also vom öffentlichen Auftraggeber, darzulegen
und zu beweisen. Nach Auffassung der Kammer hat der öffentliche Auftraggeber diesen Beweis nicht im erforderlichen Umfang erbracht. Insbesondere war seine Markterkundung im Vorfeld zu oberflächlich.
Gespräche hat er nur mit dem beauftragten Unternehmen geführt.
Praxistipp:
Ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung darf nur unter "sehr außergewöhnlichen Umständen" durchgeführt werden. Ein solches Verfahren ist nur dann erlaubt, "wenn es keine vernünftige Alternative
oder Ersatzlösung gibt“ und „der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist". Die Anforderungen an den Umfang der von einem öffentlichen Auftraggeber
in diesem Zusammenhang anzustellenden Ermittlungen, bevor er ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, sind hoch. Im Rahmen einer Markterkundung sind "ernsthafte Nachforschungen
auf europäischer Ebene", Diskussionen mit anderen öffentlichen Auftraggebern über deren Erfahrungen mit dem Beschaffungsgegenstand sowie Internetrecherchen durchzuführen, um einen vollständigen Wettbewerbsverzicht
ausreichend zu begründen.
VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 (Az.: VK 1-75/19)
Ist in den Vergabeunterlagen eine Abwehrklausel formuliert, die verhindert, dass Geschäftsbedingungen des Bieters greifen können, ist ein Ausschluss des Bieters wegen unzulässiger Änderungen der
Vergabeunterlagen nicht gerechtfertigt.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren Straßenbauarbeiten in einem EU-weiten offenen Verfahren. Das Angebot von Bieter B enthielt den Zusatz: "(...) zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug". Die den Vergabeunterlagen beigefügten
Zahlungsbedingungen des Auftraggebers nach § 8 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVB-Bau) sahen jedoch eine Zahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach Abnahme vor. Weiterhin enthielt
§ 1 Abs. 1.3 der ZVB-Bau eine Abwehrklausel mit folgendem Wortlaut: "Etwaige Vorverträge, Protokolle oder sonstige Korrespondenz im Zusammenhang mit dem Abschluss dieses Vertrags, insbesondere Liefer-,
Vertrags- und Zahlungsbedingungen des AN sind nicht Vertragsbestandteil." Die Regelungen der ZVB-Bau waren vom Auftraggeber zu einem Teil des von den Bietern geforderten Angebotsinhalts gemacht worden.
B wurde wegen unzulässiger Änderung an den Vergabeunterlagen von der Wertung ausgeschlossen. Das zuständige Landgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage des B ab, das OLG Stuttgart wies seine
Berufung zurück. B ging mit seiner Revision zum BGH
Beschluss:
Mit Erfolg! Die vom Auftraggeber verwendete Abwehrklausel sei im Lichte der Neuregelungen seit der VOB/A 2009 zu sehen. Diese dienten dazu, so
der BGH, den Ausschluss von Angeboten aus nur formalen Gründen zu verhindern. Erklärtes Ziel sei, im Interesse der Erhaltung eines möglichst
umfassenden Wettbewerbs die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler
Mängel zu reduzieren.
Aus der maßgeblichen Sicht der potenziellen Bieter liege an sich die Annahme fern, die mit den Vergabeunterlagen vom Auftraggeber vorgegebenen
Bestimmungen dürften durch die Bieter durch eigene Klauseln oder eigene Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ersetzt oder sonst wie abgewandelt
werden. Füge ein Bieter seinem Angebot eigene Allgemeine Geschäftsbedingungen bei, deute das auf ein Missverständnis auf Bieterseite hin. Wäre dem Bieter die Bindung des öffentlichen Auftraggebers an den Inhalt der Ver-gabeunterlagen bewusst gewesen, so
hätte er laut BGH auf abweichende Klauseln verzichtet. In solchen Fällen ermögliche eine Abwehrklausel, wie die vom Auftraggeber in § 1 Abs. 1.3 ZVB-Bau verwendete, das Angebot in der Wertung zu
belassen. Denn die von dem Kläger verwendete Klausel konnte aufgrund der Abwehrklausel nicht Vertragsbestandteil werden. Eine Änderung an den Vergabeunterlagen lag demnach nicht vor. Selbst ohne
Abwehrklausel wäre ein zwingender Ausschluss laut BGH nicht in Betracht gekommen. Der Auftraggeber hätte das Angebot vielmehr nach § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2012 aufklären müssen. Denn zu den im
vom Auftraggeber vorformulierten Angebotsschreiben enthaltenen Bekundungen jedes Bieters gehörte hier die Erklärung, keine eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Bestandteil des Angebots zu machen.
Dazu habe der Zusatz des Klägers in Widerspruch gestanden. Das Angebot sei daher lediglich in diesem Punkt nicht eindeutig gewesen und der Auftraggeber hätte insoweit Aufklärung über das Angebot selbst
verlangen dürfen und müssen.
Praxistipp:
Abwehrklauseln in den Vergabeunterlagen, wonach Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen des Auftragnehmers nicht Vertragsbestandteil werden, stehen einem Ausschluss von Angeboten mit abweichenden Vertragsbedingungen
grundsätzlich entgegen. Ein Ausschluss des Angebots wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen ist nicht erforderlich und nicht zulässig.
BGH, Urteil vom Datum 18.06.2019 (Az.: X ZR 86/17)
Schreibt der Auftraggeber die Lieferung von Fertignasszellen in Leichtbetonweise aus und lässt er gleichwertige Lösungen zu, kann das Angebot eines Bieters, der Nasszellen aus Stahlblech anbietet, nicht
wegen einer Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden. Die Beurteilung der Gleichwertigkeit anhand der ausgeschriebenen Anforderungen ist vom Auftraggeber nachvollziehbar zu dokumentieren.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren für einen Neubau eines Gebäudes die Herstellung, Lieferung und der Einbau von vorge-fertigten Sanitärzellen in einem
EU-weiten Verfahren. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.
Das Leistungsverzeichnis wies auf Folgendes hin: "Die nachstehende Leistungsbeschreibung beschreibt eine kompakte Sanitärzelle in Betonbauweise
mit Decke, Wänden und Fußboden als geschlossene Raumeinheit. Selbstverständlich können gleichwertige Lösungen angeboten werden." Das LV enthielt
zahlreiche Vorgaben u.a. für Abmessungen und Gewicht der Zellen, deren Abdichtung, den Schallschutz sowie hinsichtlich der einschlägigen
DIN-Normen.
Bieter B bot Fertignasszellen aus Stahlblech an. In seinem dem Angebot beigefügten Schreiben wurde kurz die konkrete Ausführung der angebotenen
Fertignasszellen beschrieben, zudem enthielt es eine Liste mit Referenzaufträgen. B war mit seinem Angebot der preisgünstigste. Das vom
Auftraggeber beauftragte Ingenieurbüro besichtigte die Stahlblech-Fertignasszelle bei B und hatte laut Protokoll "keine technischen Bedenken".
Weitere Angaben zur technischen und fachlichen Tauglichkeit der vor dem Bieter angebotenen Nasszelle waren dem Protokoll nicht zu entnehmen. Die
fachtechnische Prüfung des Angebotes durch das Ingenieurbüro ergab, dass die Leistungen gleichwertig angeboten wurden.
Der preislich an zweiter Stelle liegende Antragsteller A rügte, dass das für den Zuschlag vorgesehene Angebot auszuschließen sei, da B keine
Fertignasszellen in Leichtbetonbauweise angeboten habe. Der Auftraggeber half der Rüge nicht ab. Daraufhin strengte A ein Nachprüfungsverfahren
an.
Beschluss:
Mit teilweisem Erfolg. Die Vergabekammer untersagte die Zuschlagserteilung. Sie befand, dass das Angebot des B nicht schon deshalb auszuschließen sei, weil die von ihm angebotenen Nasszellen nicht aus Leichtbeton seien.
Allerdings müsse der Auftraggeber vor einer endgültigen Zuschlagserteilung die Gleichwertigkeit eines Angebotes nachvollziehbar überprüfen und dokumentieren. Die Vorgaben im LV seien eindeutig so zu verstehen, dass
nicht nur Lösungen in Leichtbetonweise zugelassen seien, sondern auch andere, sofern diese gleichwertig seien. Das Material werde an der entsprechenden Stelle im LV nur deshalb erwähnt, weil sich das LV an diesem
Material als eine Art Muster oder "Leitvorgabe" orientiere. Das LV enthalte gerade keine zwingende Vorgabe für eine Ausführung der Nasszellen in Leichtbetonbauweise. Allerdings habe der Auftraggeber im LV
ausdrücklich festgelegt, dass ein Angebot, das andere Materialien als den vom Auftraggeber beispielhaft genannten Leichtbeton beinhalten, nur dann zuschlagsfähig seien, wenn das betreffende Material "gleichwertig"
zu Leichtbeton sei. Die Gleichwertigkeit sei anhand der ausgeschriebenen Anforderungen zu prüfen. Die Vergabeakte enthalte jedoch lediglich die Feststellung, dass das betreffende Angebot gleichwertig sei.
Weitere Begründungen, Erwägungen oder sonstige Ausführungen hierzu enthalte die Vergabeakte nicht. Auch im Nachprüfungsverfahren habe der Auftraggeber bzw. das von ihm beauftragte Ingenieurbüro die Gleichwertigkeit
lediglich behauptet, ohne sich mit den einzelnen Anforderungen des LV vollständig und nachvollziehbar auseinanderzusetzen. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht müsse der Auftraggeber daher die
Gleichwertigkeitsprüfung anhand der ausgeschriebenen Vorgaben nachholen und ausreichend dokumentieren
Praxistipp:
Wieder einmal ein Beleg dafür, wie wichtig die Prüfung und ausführliche Dokumentation seitens des Auftraggebers ist. Das Zulassen von alternativen Lösungen ist absolut vorbildlich. Unter den vergaberechtlichen
Grundsätzen von „Wettbewerb, Gleichbehandlung, Transparenz“ reicht es aber nicht, eine Gleichwertigkeit nur positiv festzustellen.
Die VK Sachsen-Anhalt hat sich in ihrer Entscheidung mit dem Thema der Präqualifikation, insbesondere mit der Frage „Nachweis der Eignung“ und „verpflichtenden Beachtung von Präqualifikationssystemen bei der
Eignungsprüfung durch den Auftraggeber“ beschäftigt.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren Gebäudeinnenreinigungsleistungen in vier Losen in einem EU-weiten Offenen Verfahren. Der Auftraggeber hatte in der Bekanntmachung unter Ziffer III.1. zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen
Leistungsfähigkeit vorgegeben, dass neben der Vorlage der gültigen Einzelnachweise auch die Eintragung in das Unternehmer- und Lieferantenverzeichnis (ULV) der Auftragsberatungsstelle Sachsen-Anhalt bzw. in das
Amtliche Verzeichnis der IHKs (AVPQ) vorgelegt werden konnte. Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit war unter Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung die Vorlage einer Referenzliste je beworbenen Loses
von mindestens drei mit dem Auftragsgegenstand vergleichbaren Leistungen gefordert. Laut Vergabevermerk sollte auf die Nachforderung von Unterlagen verzichtet werden. Bieter B wurde mit seinem Angebot auf alle vier Lose
ausgeschlossen, mit der Begründung, dass die vorgelegten Referenznachweise nicht der geforderten Form entsprächen. Bei den geforderten Angaben zu den Referenzen fehlten die Auftragswerte.
B rügt den Ausschluss seines Angebotes sowie die Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit des Informationsschreibens nach § 134 GWB als vergaberechtswidrig. Der Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von
Ausschlussgründen nach §§ 123, 124 GWB könne ausdrücklich ganz oder teilweise durch die Teilnahme an Präqualifikationssystemen erbracht werden. Auch den Vergabeunterlagen selbst könne keine Einschränkung entnommen
werden, dass die Verwendung eines Präqualifikationssystems auf bestimmte Bereiche oder Leistungsnachweise begrenzt oder sogar ausgeschlossen sei. Sollte dies dennoch beabsichtigt gewesen sein, wären die
Vergabeunterlagen unklar und nicht eindeutig. Den Angeboten sei das Zertifikat mit den entsprechenden Zugangsdaten beigefügt. Darauf sei auch im Angebotsschreiben explizit hingewiesen worden. Aus dem Zertifikat
ergebe sich eindeutig, dass für die in Rede stehenden Leistungsbereiche Referenzen hinterlegt seien. Diese beinhalteten alle geforderten Angaben einschließlich der Auftragswerte. Zudem gelte gemäß § 48 Abs. 8 VgV
die Eignungsvermutung. Danach könne die Eignung nur in begründeten Fällen in Zweifel gezogen werden. Solche Gründe seien hier nicht ansatzweise vorgetragen worden. Mit der Übermittlung der Nichtabhilfeentscheidung
teilte die Auftraggeberin B mit, dass die Vorlage einer Referenzliste je beworbenem Los gefordert gewesen sei. Die Gesamtzahl der präqualifizierten Referenzen hätte drei betragen. Die Angebote hätten sich jedoch
auf vier Lose erstreckt. Ferner seien mit dem Angebot unvollständige Referenzen eingereicht worden, sodass unter Einhaltung der Vergabegrundsätze die Verwendung der zusätzlichen präqualifizierten Referenzangaben
gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen würde, da die Vergabestelle von ihrem Wahlrecht gemäß § 56 Abs. 2 VgV Gebrauch gemacht und auf die Nachforderung von Unterlagen verzichtet habe. B wendet sich an die
zuständige Vergabekammer.
Beschluss:
Mit Erfolg. B habe den Nachweis der geforderten Referenzen je beworbenen Loses gemäß Zertifizierung erbringen können. Die Präqualifizierung
belege die Eignung des Bieters bezogen auf den konkreten präqualifizierten Leistungsbereich. Der Bekanntmachungstext sieht unter Ziffer III. 1.3) hinsichtlich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit in Abweichung zu Ziffer III. 1.2) neben der Vorlage einer Referenzliste keine
weitere Möglichkeit eines Rückgriffs auf Angaben durch eine Präqualifikation vor. Der bloßen Nichterwähnung kommt allerdings keinerlei
rechtsgestalterische Auswirkung zu, der man mit einer Rüge zu begegnen hätte.
Ein Bieter oder Bewerber ist gemäß § 50 Abs. 3 Nr. 1 VgV von der Verpflichtung zur Vorlage ausdrücklich abgeforderter Unterlagen dann befreit,
wenn der öffentliche Auftraggeber diese Unterlagen über eine für diesen kostenfreien Datenbank innerhalb der Europäischen Union, insbesondere im
Rahmen eines Präqualifikationsverfahrens, erhalten kann. Ein Auftraggeber ist - unabhängig davon, ob er in der Bekanntmachung seine Bereitschaft
zur Umsetzung des § 50 VgV zum Ausdruck bringt - verpflichtet, dies zu tun. Der öffentliche Auftraggeber sei "gemäß § 122 GWB verpflichtet,
Bescheinigungen über die Teilnahme an ordnungsgemäßen Präqualifikationssystemen als Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von
Ausschlussgründen zu akzeptieren. Durch sie wird die nahezu bei jeder Ausschreibung anfallende Prüfung bestimmter Eignungsnachweise
vorweggenommen, sodass der Anbieter im Rahmen eines konkreten Vergabeverfahrens keine Einzelnachweise mehr besorgen und vorlegen muss.
Bekräftigt werde dies insbesondere auch durch die Vorschrift des § 50 VgV. Das habe zur Folge, dass Bewerber bzw. Bieter die vom öffentlichen
Auftraggeber geforderten Unterlagen nur insoweit beizubringen haben, als der öffentliche Auftraggeber sie u. a. nicht über eine kostenfreie
Datenbank innerhalb der EU beziehen könne.
Dieser Grundsatz gilt generell für jegliche Anforderung von Eigenerklärungen oder sonstigen Unterlagen zum Zwecke der Prüfung der Eignung und des
Nichtvorliegens von Ausschlussgründen. B habe seinem Angebot das AVPQ-Zertifikat mit den entsprechenden Zugangsdaten beigefügt. Dieses beinhaltete
auch die Benennung von drei Referenzen, die alle von der Antragsgegnerin geforderten Angaben enthielten. Damit erwuchs vorliegend eine
Verpflichtung des Auftraggebers zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Präqualifikationsunterlagen. Diese Verpflichtung spiegelt sich auch
in § 48 Abs. 8, der eine im Einzelfall widerlegungspflichtige Eignungsvermutung statuiert.
Auch die Tatsache, dass B seinen Angeboten eine weitere Liste mit Referenzen beigefügt habe, entlasse den Auftraggeber nicht aus dieser
Verpflichtung. Die Bieter waren nicht daran gehindert, weitere Referenzen vorzulegen, um ihre Leistungsfähigkeit entsprechend zu dokumentieren.
Dass die zusätzlich vorgelegte Referenzliste unstreitig nicht sämtliche geforderten Angaben enthielt, führte lediglich zu der Schlussfolgerung,
dass diese isoliert zur Feststellung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin nicht herangezogen werden könne.
Das Verlangen nach Referenzprojekten für vergleichbare Leistungen bedeute nicht, dass das Leistungsbild der herangezogenen Aufträge mit dem
ausgeschriebenen Auftrag identisch sein müsse. Nach allgemeinen Bewertungsmaßstäben sei eine Referenzleistung vergleichbar mit der
ausgeschriebenen Leistung, wenn sie dieser so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die
ausgeschriebene Leistung ermöglicht.
Praxistipp:
Der öffentliche Auftraggeber muss Bescheinigungen über die Teilnahme an ordnungsgemäßen Präqualifizierungssystemen als Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen akzeptieren. Ein Bieter oder
Bewerber ist von der Verpflichtung zur Vorlage ausdrücklich abgeforderter Unterlagen dann befreit, wenn der öffentliche Auftraggeber diese Unterlagen über eine für diesen kostenfreie Datenbank innerhalb der
Europäischen Union, insbesondere im Rahmen eines Präqualifikationsverfahrens, erhalten kann. Eine Referenzleistung ist vergleichbar mit der ausgeschriebenen Leistung, wenn sie dieser so weit ähnelt, dass sie
einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung ermöglicht. Eine Rügeerfordernis wird nicht ausgelöst, wenn im Bekanntmachungstext bei den
Eignungskriterien Präqualifizierungssysteme nicht genannt werden.
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom Datum 26.06.2019 (Az.: 1 VK LSA 30/18)
Abzustellen ist auf durchschnittliche Unternehmen, an die sich die Ausschreibung richtet
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren in einem EU-weiten Verfahren die Beschaffung von Schuhen für Frauen und Männer jeweils in den Versionen „leicht“ und „schwer“. Frist für die Abgabe der Angebote war ursprünglich der 02. April 2019.
Mit Schreiben vom 13. März 2019 rügte die Antragstellerin (ASt) durch ihren Verfahrensbevollmächtigten das Vergabeverfahren. U. a. sei die Frist zur Abgabe der Angebote und ersten Muster mit 45 Tagen zwischen Absenden
der Bekanntmachung am 15. Februar 2019 und Angebotsabgabefrist am 02. April 2019 entgegen § 20 Abs. 1 VgV unangemessen kurz.
Beschluss:
Gem. § 20 Abs. 1 VgV sind bei der Festlegung der Fristen zur Angebotsabgabe die Komplexität der Leistung und die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote angemessen zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung der
Angemessenheit der Frist zur Einreichung von Angeboten, ist auf das durchschnittliche Unternehmen, an das sich die Ausschreibung richtet, abzustellen. Nicht alle, aber möglichst viele interessierte Unternehmen
sollen in der Lage sein, ein Angebot abzugeben. Gelingt es mehreren Bietern, rechtzeitig Angebote einzureichen, liegt zumindest ein Indiz für die Angemessenheit der Frist vor.
Praxistipp:
Vergabestellen haben häufig Schwierigkeiten mit der Berechnung von Fristen. Dies insbesondere auch bei Vergaben im Unterschwellenbereich. Die dort herrschenden unbestimmten Rechtsbegriffe wie „ausreichend, angemessen,
verhältnismäßig“ sind in der Praxis schwer einzuordnen. Um dies richtig zu bemessen, könnte eine Abfrage vor Verfahrensbeginn im Rahmen einer Markterkundung helfen.
VK Bund, Beschl. vom 07.05.2019 (Az.: VK 1-17/19)
Verwendet der Bieter „veraltete“ Vergabeunterlagen, führt dies zum Ausschluss.
Sachverhalt:
Im Laufe des Vergabeverfahrens teilte der öffentliche Auftraggeber den Bietern mit, das in den Vergabeunterlagen enthaltene Leistungsverzeichnis
sei aufgrund eines technischen Defektes verändert worden. Er wies die Bieter ausdrücklich darauf hin, dass zur Abgabe der Angebote die aktuellste
Version der Vergabeunterlagen zu verwenden sei, die nebst der überholten Version zum Download auf der E-Vergabe-Plattform bereitstand.
Bieter A reichte ein Angebot auf Grundlage der alten Vergabeunterlagen ein. Er wurde daraufhin wegen „unzulässiger Änderung oder Ergänzung der
Vergabeunterlagen“ ausgeschlossen. A wandte ein, er habe nach der Veröffentlichung des Verfahrens die ursprünglichen Vergabeunterlagen
heruntergeladen und keinen Anlass gehabt, die neuen umgehend in Augenschein zu nehmen. Die Verwendung der alten Version sei nicht mit Absicht
geschehen und beruhe auf der am Tag der Angebotsabgabe erkannten Veränderung und der daraus entstandenen Verwirrung.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Durch das Hochladen der neuen Version und den Hinweis, ausschließlich die neue Fassung der Vergabeunterlagen zu verwenden, wurden
diese zu den aktuell gültigen Vergabeunterlagen. Indem A das inhaltlich abweichende alte Leistungsverzeichnis und nicht das aktuelle verwendete,
änderte er die Vergabeunterlagen. Dass er das Formular dabei nicht selbst änderte, ist unerheblich. Das Angebot war nicht mit den übrigen
vergleichbar und somit auszuschließen.
Praxistipp:
Bieter sollten sich frühzeitig registrieren, um über die Vergabeunterlagen betreffende Änderungen informiert zu werden. Bei Unklarheiten darüber,
ob eine Aktualisierung der Vergabeunterlagen vorliegt oder nicht, ist lieber einmal zu viel beim öffentlichen Auftraggeber nachzufragen.
VK Bund, Beschl. vom 07.05.2019 (Az.: VK 1-17/19)
Welche Formalien sind bei einer Rüge einzuhalten?
Sachverhalt:
Ausgeschrieben war europaweit als Offenes Verfahren, "Druckoutputmanagement“ für ein Landratsamt. Die ausgeschriebene Leistung betraf die Lieferung, Installation und Miete von multifunktionalen Systemen und Software
inkl. Service, Wartung und Verbrauchsmaterial für alle Standorte des Auftraggebers. Bieter A stellte diverse Bieterfragen an den Auftraggeber. Dieser teilte am 03.04.2019 (16:18:31 Uhr) über die eVergabe-Plattform
Folgendes mit: "Die Frist für Bieterfragen, wie in der Bekanntmachung veröffentlicht, ist am 27.03.2019 abgelaufen. Die Bieterfragen werden somit nicht mehr beantwortet. Bitte berücksichtigen Sie, dass die
Angebotsfrist heute, am 03.04.2019 um 23.59 Uhr endet." Bieter A gab kein Angebot ab. Der Auftraggeber informierte mit Schreiben vom 08.04.2019 gemäß § 134 Abs. 1 GWB die nicht berücksichtigten Bieter.
Beschluss:
Bieter A stellt einen Nachprüfungsantrag. Er trägt vor, die Nichtbeantwortung der Fragen durch den Auftraggeber stelle eine Rechtsverletzung des § 97 Abs. 6 GWB dar. Zudem drohe ein Schaden gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB
durch diese Rechtsverletzungen. Der Bieter habe die Rügeobliegenheit erfüllt. Nachdem er erst kurz vor Ende des Abgabetermins überhaupt Kenntnis erlangt habe, konnte eine Prüfung der Unterlagen erfolgen. Als er die
Defizite und Unklarheiten in der Ausschreibung und bei den technischen Merkmalen für die Geräte der LK 1 und LK 3 entdeckte, habe er unverzüglich mit der E-Mail vom 03.04.2019 seine Bedenken hinsichtlich dieser
verwendeten technischen Merkmale dargelegt, indem er mehrere Fragen dazu stellte, deren Beantwortung der Auftraggeber verweigerte.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Der Bieter hat die von ihm behaupteten Rechtsverletzungen im Vergabeverfahren nicht vor der Stellung des Nachprüfungsantrages gerügt. Nach dem Tatsachenvortrag des Bieters ist
eine Rüge von Vergaberechtsverletzungen gegenüber dem Auftraggeber überhaupt unterblieben. Antragsbefugt ist ein Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten aus § 96 Abs. 6 GWB
durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei hat das Unternehmen auch darzulegen, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen
droht (vgl. 160 Abs. 2 Satz 2 GWB). Der Antrag ist schriftlich bei der Vergabekammer einzureichen und unverzüglich zu begründen. Die Begründung muss darlegen, dass die Rüge gegenüber dem Auftraggeber erfolgt ist.
An einer ordnungsgemäßen Rüge fehlt es hier.
Praxistipp:
An den Inhalt einer Rüge sind nur geringe Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der Bewerber ausdrücklich das Wort "Rüge" verwendet. Es muss aber aus dem Schreiben deutlich werden, dass sich
der Bieter in seinen Rechten verletzt sieht. Die Rüge muss objektiv und vor allem auch gegenüber dem Auftraggeber deutlich sein und von diesem so verstanden werden, welcher Sachverhalt aus welchem Grund als
Vergaberechtsverstoß angesehen wird und dass es sich nicht nur um die Klärung etwaiger Fragen, um einen Hinweis, eine Bekundung des Unverständnisses, eine Bitte oder um Kritik an der Ausschreibung handelt, sondern
dass der Bieter von der Vergabestelle erwartet, dass der seiner Ansicht nach bestehende Verstoß behoben wird. Des Weiteren ist zu empfehlen, eine Rüge unverzüglich nach Feststellung des Vergaberechtsverstoßes gegenüber
dem Auftraggeber zu äußern.
VK Thüringen, Beschl. vom 16.05.2019 (Az.: 250-4003-11400/2019-E-006-UH)
Ausschreibungen sind produktneutral zu erstellen. Ein Angebot, das von den produktspezifischen Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abweicht, ist von der Wertung auszuschließen. Dies gilt auch, wenn die Produktvorgabe
nicht gerechtfertigt war, aber kein Bieter dies gerügt hat.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren Computer-Server in einem europaweiten Offenen Verfahren. In der Bekanntmachung sowie Ziffer 5. des Leistungsverzeichnisses sollte der Server mindestens aus einem Login-Knoten, einem Speicher-Knoten,
mehreren Rechen-Knoten mit Grafikkarten und einer NVIDIA DGX-1 V100 bestehen. Unter Ziffer 5.1 "Mindestanforderungen" des Leistungsverzeichnisses definierte die Auftraggeberin ihre Anforderungen an die Hardware ergänzend
wie folgt: "Hardware Anforderungen: [...] einen Deep-Learning-Knoten
Im Rahmen der Angebotsphase stellte ein Bieter hinsichtlich der Anforderungen an den Deep-Learning-Knoten folgende Frage: "Kann anstelle des ausgeschriebenen NVIDIA DGX-1 Volta Deep Learning-Knoten ein vergleichbares,
aber leistungsstärkeres (neue Skylake CPU) System angeboten werden?" Die Auftraggeberin antwortete daraufhin am 27.08.2018 gegenüber allen Bietern: "Das Gerät ist Standard im Fachbereich und das vorinstallierte
Softwarestack ist DGX optimiert. Die in der Leistungsbeschreibung angegebenen Mindestanforderungen müssen eingehalten werden." Im Rahmen der Prüfung des fristgerecht eingegangenen Angebots des Bieters fiel der
Auftraggeberin auf, dass dieser das Angebotsschreiben (Formular 633) mit Angebotsabgabe nicht eingereicht hatte. Sie teilte ihm im Rahmen der am 19.09.2018 versendeten Informationsschreiben gemäß § 134 GWB mit,
dass sein Angebot von der weiteren Wertung auszuschließen war. Der Bieter rügte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26.09.2018 seinen Ausschluss vom Vergabeverfahren. Die Auftraggeberin half der Rüge teilweise ab,
der Ausschluss aufgrund des fehlenden Angebotsschreibens wurde jedoch aufrechterhalten.
Beschluss:
Dagegen wendet sich der Bieter mit seinem Antrag vor der Vergabekammer – ohne Erfolg. Der Bieter hat erstma-lig im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens mit Schriftsatz vom 26.10.2018 und in der mündlichen Verhandlung beanstandet,
dass die Auftraggeberin sich in der Ausschreibung nach ihrem eigenen Verständnis produktspezifisch auf einen NVIDIA DGX-1 Volta Deep-Learning-Knoten festgelegt hat. Darin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der
Produktneutralität. Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, müssten spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur
Angebotsabgabe bzw. Bewerbung im Teilnahmewettbewerb gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.
Vorliegend ist der Bieter mit seinem Angebot bereits dadurch von den Festlegungen der Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen abgewichen, weil er entgegen der von allen Bietern rügelos akzeptierten ausdrücklichen Vorgabe,
einen Deep-Learning-Knoten "NVIDIA DGX-1 Volta" anzubieten, ein Alternativprodukt eines anderen Herstellers, nämlich einen Deep-Learning-Knoten "[…]" angeboten hat.
Praxistipp:
Obwohl die Produktvorgabe im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt war, ist das Angebot eines Bieters auszu-schließen, wenn er von dem in dem Leistungsverzeichnis ausdrücklichen verlangten abweicht, ohne gerügt zu haben. Ein frühzeitige, klare Kommunikation mit der Auftraggeberin hilft.
VK Lüneburg, Beschl. vom 21.11.2018 (Az.: VgK-44/2018)
Eine Bekanntmachung gilt als unwirksam, wenn die geforderten Eignungskriterien im Bekanntmachungstext unerwähnt bleiben und nur pauschal auf diese verwiesen wird. Dies gilt auch für eine Verlinkung in der Bekanntmachung,
welche auf eine allgemeine Vergabeplattform des öAG verweist.
Sachverhalt:
Ausgeschrieben waren IT-Leistungen im Rahmen eines EU-weiten Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. In der
Bekanntmachung hieß es, nach einem Teilnahmewettbewerb würden drei geeignete Bieter zur Angebotsabgabe aufgefordert. Bei mehr als drei geeigneten
Bietern würden die drei Bieter mit den meisten Eignungspunkten zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Der öAG verweist mit einem Link zu den
abrufbaren Auftragsunterlagen auf die geforderten Eignungskriterien.
Bieter A bewirbt sich um die Teilnahme, erhält jedoch vom öAG die Nachricht, mangels Eignungsnachweis nicht zur Teilnahme zugelassen zu werden.
Hiergegen wendet sich A mit der Begründung, die Referenzen seien nicht korrekt bewertet worden. Zudem seien die Eignungskriterien nicht in der
Bekanntmachung oder einem direkten Link veröffentlicht worden. Auf den Rechtsbehelf von A untersagt die Vergabekammer dem öAG, den Zuschlag zu
erteilen und hebt das Vergabeverfahren auf. Der öAG legt gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
Beschluss:
Ohne Erfolg. Das OLG München bestätigt die Entscheidung der Vergabekammer. Die Eignungskriterien seien nach dem eindeutigen Wortlaut des § 122 Abs. 4 Satz 2 bzw. § 48 Abs. 1 VgV in der Bekanntmachung aufzuführen.
Ein potenzieller Bieter müsse aufgrund des Bekanntmachungstextes entscheiden können, ob er sich am Wettbewerb beteiligen könne und wolle. Vorliegend werde der Interessierte jedoch erst auf eine allgemeine Plattform
des öAG mit mehreren Vergabeverfahren geleitet und müsse sich dort umständlich die Kriterien heraussuchen und herunterladen. Die gesetzlichen Grundlagen sowie die Vorgaben der EU-Durchführungsverordnung hinsichtlich
des gestalteten Formblatts zur Bekanntmachung und dessen EDV-technische Umsetzung führten zu diesem Ergebnis.
Praxistipp:
Bieter müssen die Eignungskriterien auf den ersten Blick erfassen können. Wie diese Anforderung bei der elektronischen Vergabe im Umgang mit Links umzusetzen ist, wird nach einer Reihe von Entscheidungen immer klarer:
Ein Link auf die Vergabeunterlagen insgesamt genügt jedenfalls nicht. Allenfalls eine direkte Verlinkung auf das Formblatt / die Aufstellung mit den im Verfahren geforderten Eignungskriterien wird für zulässig gehalten.
Dies ist auch für Unternehmen relevant, die sich haben präqualifizieren lassen, um die geforderten Eignungskriterien mit den in der Präqualifikation hinterlegten abgleichen zu können.
OLG München, Beschluss vom 25.02.2019 (Az.: Ver 11/18)
Versäumt es der öffentliche Auftraggeber, die nicht berücksichtigten Bieter vor Zuschlagserteilung über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen
Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren, ist der Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn dieser Verstoß in einem
Nachprüfungsverfahren festgestellt wird.
Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber hat im offenen Verfahren einen Rahmenvertrag über die Erstellung von Baugrunduntersuchungen europaweit ausgeschrieben. Mit Schreiben vom 17.11.2017 vergab die Vergabestelle den
Auftrag. Eine Vorab-Information nach § 134 GWB an die nicht berücksichtigten Bieter erfolgte nicht.
Beschluss:
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und auch begründet. Durch die Erteilung des Zuschlags ohne Information vorab über den Namen des Bestbietenden, die Gründe der Nichtberücksichtigung sowie den frühesten Zeitpunkt
der Zuschlagserteilung, also des Vertragsschlusses, sind die unberücksichtigt gebliebenen Bieter in ihren Rechten verletzt. Der am 17.11.2017 geschlossene Rahmenvertrag über Baugrunduntersuchungen für
Straßenbaumaßnahmen ist somit von Anfang an unwirksam.
Praxistipp:
Das Versäumnis des öffentlichen Auftraggebers, eine Vorab-Information an die Beteiligten zu senden, kann in einem EU-weiten Verfahren dazu führen, dass Bieter ihr primäres Interesse an der Auftragserteilung noch
durchsetzen können.
VK Lüneburg, Beschluss vom 18.01.2018 (Az.: VgK-44/2017)