Mai 2021: Versendung der Bieterinformation nach § 134 GWB über eVergabeplattform reicht aus!

VK Saarland, Beschluss v. 01:00 22-03-2021 Az.: 1VK 06/2020
Seit der Entscheidung der Vergabekammer Südbayern 2019 (B. v. 01:00 29-03-2019, Z 3 – 3 – 3194 – 1 – 07 – 03 / 19) sahen sich öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die Bieterinformationen nach § 134 GWB auch außerhalb der elektronischen Vergabeplattform per Fax oder E-Mail zu versenden. Die VK Saarland dagegen hält die Versendung auf das auf den Vergabeplattformen für Bieter eingerichtete Postfach für völlig ausreichend.

Die kompromisslose Auffassung der VK Südbayern geht davon aus, dass ein Versenden der Informationsinhalte in den sog. „Machtbereich“ des Bieters erst dann erfüllt ist, wenn sie in seinem Mailpostfach, Fax oder Briefkasten landet. Ohne dies, wurde auch nicht die Stillhaltfrist in Gang gesetzt, deren Ablauf notwenige Voraussetzung für die rechtswirksame Zuschlagserteilung an den Bestbieter ist.
Für die VK Saarland reicht die Verortung der zu übermittelnden Bieterinformation auf der Vergabeplattform, sofern damit eine elektronisch generierte E-Mail-Nachricht an den Bieter versendet wird, welche beinhaltet, dass in seinem Postfach eine neue Nachricht vom Auftraggeber hinterlegt ist. Dies entspricht auch der Softwarestruktur der gängigsten, in Deutschland genutzten elektronischen Vergabepattformen.
Wie ist dieser Paradigmenwechsel zu erklären? Die VK Saarland bewertet das Einstellen der Information im persönlichen Nutzerkonto bei gleichzeitiger Benachrichtigung per Mail als verfahrensfehlerfreies, elektronisches Versenden im Sinne des § 134 GWB. Es erfüllt die Voraussetzung des „Absendens“ nach § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB. Das Tatbestandsmerkmal des Absendens ist im Kontext der digitalen Abwicklung des Vergabeverfahrens zu verstehen. Die Rechtsprechung definiert für das Vergaberecht das Versenden als ein Entäußern aus dem eigenen „Machtbereich“ derart, dass bei regelgerechtem Verlauf mit dem ordnungsgemäßen Zugang beim Empfänger zu rechnen ist. Für den Beginn der zu beachtenden Frist kommt es nur darauf an, wann der öffentliche Auftraggeber sich der schriftlichen Mitteilungen an die betroffenen Bieter entäußert, wann er diese Schriftstücke also aus seinem Herrschaftsbereich so herausgegeben hat, dass sie bei bestimmungsgemäßem weiterem Verlauf der Dinge die Bieter erreichen (BGH, Beschluss vom 9. 2. 2004 - X ZB 44/03). Das Medium, mittels dessen die Information nach § 134 GWB auch elektronisch übermittelt werden kann, benennt der Gesetzgeber nicht. Vielmehr ist die Norm in ihrem Normkontext nach dem Wortlaut, dem Willen des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck technikoffen. Nach dem Gesetzestext kommt es für die Frage der formwirksamen Erstellung und Abgabe der Erklärung in Textform nur darauf an, dass die Nachrichten, die über den Kommunikationsbereich der Vergabeplattform an den Bieter gelangen, als lesbare Erklärungen, die außerdem mit Zeitstempel versehen sind, druckfähig oder elektronisch speicherbar sind. Diese Aspekte der Textform sind mit der Nachrichtenübermittlung in der Ausgestaltung der Vergabeplattformen gewahrt. Die eingestellten Informationen bleiben mindestens für die Dauer des Vergabeverfahrens im persönlichen Kommunikationsbereich des Bieters erhalten und abrufbar.
Fazit: Versenden in elektronischer Form bedeutet nicht das physische Versenden, sondern bedeutet das elektronische „auf den Weg bringen“ der Information in Textform, d. h. das Verlassen des Machtbereichs des Sendenden derart, dass die Information durch diesen nicht mehr einseitig v erändert oder gelöscht werden kann. Dabei muss zu erwarten sein, dass bei regelgerechtem Verlauf die Information in den Machtbereich des Empfängers gelangt. (siehe BGHZ a. a. O.) In diesem Sinne muss es dem Empfänger möglich sein, jederzeit und ohne Zutun des Absendenden auf die im Postfach eingelegte Information zuzugreifen. Dies ist jedenfalls auch dann der Fall, wenn die maßgebliche Information in einem nur per-sönlich zugänglichen Raum des Empfängers („Online-Konto“) eingestellt wird. 
Für den Beginn des Fristenlaufs maßgeblich ist nur die Information nach § 134 Abs. 1 GWB selbst. Auf die Zufälligkeit, ob der Empfänger die für ihn bestimmten Nachrichten auch abruft und in welcher Form er sie speichert, kommt es für die Bewertung des Kriteriums „Versenden“ nicht an. Nach Auffassung der VK Saarland kommt es auch nicht darauf an, dass der Inhalt der Nachricht bereits vorab aus der Gestaltung der Benachrich-tigung – sei es im Betreff oder sonst – erkennbar ist. Im Unterschied zum bloßen Bereitstellen einer Information auf einer Plattform gelangt das Schreiben nach § 134 GWB durch das Einstellen in das persönliche Nutzerkonto des Empfängers allein in dessen Machtbereich, auf den nur er allein mittels Zugangsdaten, vergleichbar einem Schlüssel, Zugriff hat.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Fristlauf durch elektronisches Versenden gemäß des § 134 Abs. 2 GWB in Gang gesetzt wird, wenn die elektronische Information: 
1. den Machtbereich des Sendenden derart verlassen hat, dass sie von diesem nicht mehr gelöscht, verändert oder zurückgerufen werden kann,
2. in Textform, mithin speicherbar und für eine angemessene Dauer verfügbar ist, und 
3. in einem nur dem Empfänger zuzurechnenden sicheren Bereich vergleichbar einem Postfach (Benutzerkonto), über das die gesamte Verfahrenskommunikation abgewickelt wird, eingelegt wird. 

Es bleibt spannend, ob sich die Vergabekammern vermehrt dieser technikfreundlichen Auffassung anschließen werden.

RA Brigitta Trutzel, Geschäftsführerin ABSt Hessen e.V.